Cannabis: Was taugt THC als Medizin?

Seit fünf Jahren können Ärzte Medizinalcannabis auf Krankenkassen-Karte verordnen. Eine Erhebung zeigt jetzt, wer Cannabis von wem und wofür erhalten hat.

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(Bild: Dmytro Tyshchenko/Shutterstock.com)

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Noch ist Cannabis laut Betäubungsmittelgesetz ein illegales Suchtmittel. Das soll sich nach dem Ampel-Koalitionsvertrag zwar ändern – die Regierung hat im Mai mit fachlichen Vorbereitungen für eine kontrollierte Freigabe von Cannabis begonnen –, aber noch ist die Hanf-Plantage im Keller ebenso verboten, wie der Kauf an der Straßenecke. Künftig soll die "kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften" möglich werden.

Als Medikamente sind THC-haltige Medikamente allerdings bereits seit fünf Jahren in der praktischen Erprobung. Schmerz-, Krebs- und Palliativpatienten dürfen Ärzte seit März 2017 Medizinalcannabis auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnen – solange sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen.

Etwas skurril an dieser Zulassung war, dass Cannabis therapeutisch quasi im luftleeren Raum schwebt, denn die internationale Studienlage zum medizinischen Einsatz von Cannabis – insbesondere dem berauschenden Wirkstoff THC – ist dünn. Wie Medizinalhanf bei den einzelnen Patientinnen und Patienten tatsächlich wirkt, ist unbekannt.

Licht ins Dunkel sollte eine Begleiterhebung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bringen: Ärzte, die Cannabis-Präparate verordnen, sollten 60 Monate lang Daten über Anwendung, Wirkung, Nebenwirkungen und die Grenzen der Therapie an das BfArM weiterleiten. Das Ende dieser Datenerfassung war der 31. März. Die Ergebnisse der Erhebung sind die Grundlage für eine Cannabis-Richtlinie, die die künftige Bezahlung von Cannabis-Behandlungen durch die Krankenkassen innerhalb eines halben Jahres regeln soll.

Allerdings hat diese Erhebung deutliche Schwächen: Nach den Ergebnissen aus der BfArM-Ärzte-Erhebung waren über die Hälfte der Mediziner, die Cannabis verschrieben haben, Anästhesisten. Die Krankenkassen haben jedoch nach eigenen Aussagen hauptsächlich Rezepte bezahlt, die von Hausärzten verschrieben wurden.

Auch die Art der verordneten Präparate unterscheidet sich deutlich – je nachdem, wen man fragt. Das BfArM sieht in seinen Fragebögen vor allem aufbereitete Arzneimittel wie das Präparat Dronabinol. Die Krankenkassen melden aus der Verschreibungspraxis einen deutlich höheren Anteil an deutlich THC-haltigeren Hanfblüten. Auch die Patienten unterscheiden sich in diesem Punkt. Während die Cannabis-Medikamente vornehmlich im Durchschnitt 57 Jahre alten Frauen verschrieben wurden, waren zwei Drittel der Patienten die Blüten verschrieben bekamen, männlich und im Schnitt 45,5 Jahre alt.

In dieser Verteilung sehen Kritiker der Cannabis-Therapie ihre Sorge vor ärztlich verordnetem Missbrauch bestätigt. Kirsten Müller-Vahl, Oberärztin der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie an der Medizinische Hochschule Hannover, sieht diese Beobachtung jedoch differenzierter: "Hierbei muss man auch berücksichtigen, dass Cannabisblüten tendenziell eher von jüngeren Personen benutzt werden, da diese Art der Therapie gewisse kognitive Fähigkeiten und ein manuelles Geschick erfordern." Älteren Menschen mit schweren Erkrankungen falle es einfach schwerer, die richtigen Dosen abzuwiegen und in die Verdampfer einzufüllen. "Interessant ist, dass in dem Bericht festgestellt wird, dass Cannabisblüten seltener zu Nebenwirkungen führen, dies aber mit dem jüngeren Alter der Patientinnen und Patienten erklärt wird, statt zu diskutieren, dass Blüten eventuell tatsächlich besser verträglich und besser dosierbar sind."

Von diesen Unstimmigkeiten abgesehen, scheinen die Ergebnisse der Erhebung die Entscheidung zu stützen, Ärzten Cannabis als Medikament zur Verfügung zu stellen: In 75 Prozent der Fälle seien die Therapieeffekte positiv gewesen, so das BfArM. Über 76 Prozent der Verordnungen sollten chronischen Schmerzpatienten helfen. 14,5 Prozent der Patienten litten unter Tumorerkrankungen und knapp sechs Prozent unter Multipler Sklerose. Im Durchschnitt hatten die Patienten bereits eine achtjährige Leidensgeschichte hinter sich, als sie in die Cannabis-Therapie eingestiegen sind. Eine klinische Studie ist die Erhebung freilich nicht. "Uns fehlen weitere klinische Studien zur Wirksamkeit von Cannabisarzneien", sagt Müller-Vahl.

Nur durch klinische Studien ließen sich auch die Vorurteile gegenüber Cannabis aus dem Weg räumen. Oliver Tolmein, Fachanwalt für Medizinrecht und Honorar-Professor an der Juristischen Fakultät, Georg-August-Universität Göttingen beobachtet, dass die Krankenkassen ein klares Regime beim Einsatz von Cannabis verfolgen. "Cannabisblüten sind ganz unbeliebt. Die Kassen möchten lieber synthetische Cannabisprodukte.

Verordnungen werden am ehesten in der Schmerztherapie zugelassen; sehr selten dagegen zum Beispiel bei ADHS oder posttraumatischen Belastungsstörungen, beides aber häufige Krankheitsbilder bei den Patienten, die Cannabis benötigen. Ich vertrete knapp ein Dutzend ehemaliger Soldaten, die psychische Störungen entwickelt haben. Und Cannabis hilft ihnen." Gerade bei jungen Männern würde suggeriert, dass Kiffer sich ihren Stoff beim Arzt abholten. "Das halte ich in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle für unzutreffend. Blüten wirken anders und in etlichen Fällen auch besser. Für dieses Phänomen gibt es bisher nur wenige Antworten, aber es gibt ja auch viel zu wenig Forschung."

(jsc)