Induktive Fahrspuren: Reisen ohne Pausen?

Es wäre so schön: Das E-Auto bezieht während der Autobahnfahrt Strom, solange man als Fahrer eben durchhält – ohne Grenzen des Akkus. Wo bleibt die Technik?

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Ein Kleinwagen und ein Bus fahren eine Teststrecke entlang und werden dabei induktiv mit Strom versorgt.

(Bild: Electreon)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Wenn jemandem das Problem der deutlich geringeren Energiedichte bei Akkus im Vergleich zum Tank bewusst wird, kristalliert sich häufig eine charakterabhängige Wunschlösung heraus. Für viele Tank-Verwöhnte hieß sie: Wasserstoff. Für mich hieß sie: induktive Stromversorgung auf Fahrstreifen. Beiden Ideen ist gemein, dass sie nie so richtig aufdrehen konnten, und bei beiden hat das den gleichen Grund, den ich unter Vermeidung aller Internetartikel-Sollmansomachens gleich am Anfang verrate: Beide Lösungen sind zu teuer bei zu wenigen Vorteilen gegenüber den günstigeren Alternativen. Mehr dazu dann aber tatsächlich gegen Ende des Textes.

Vor etwa 15 Jahren begannen einige Projekte, ernsthaft neue Technik für induktive Fahrspuren zu entwickeln. Dabei galt es, einige Hürden zu nehmen. Bei induktiver Energieübertragung trägt die Enge des Luftspalts erheblich zu den erreichbaren Übertragungseffizienzen bei. Auf der Autobahn kann man jedoch nicht mit der Bodenfreiheit eines F1-Boliden unter Anpressdruck fahren. Die Effizienz der Systeme musste also auch bei Luftspalten von 10 cm und darüber noch ausreichend hoch liegen, zusammen mit der Leistung. Dazu mussten die Projekt-Teams Steuerungen entwickeln, die das magnetische Feld so steuern, dass es immer unter dem sich bewegenden Fahrzeug liegt. Dazu müssen die entsprechenden Spulen nacheinander geschaltet werden und die Objekterkennung, die auch bei stationären induktiven Systemen nötig ist, muss von Metallteilen belegte Segmente übergehen. Das waren alles keine technisch unmöglichen Hürden, was die damaligen Entwicklungen belegen. Fraunhofer etwa zeigte eine Energieversorgung bis 200 km/h, passend für die deutsche offene Autobahn. Die Briten wollten innerhalb von zehn Jahren "world leader" bei den induktiven Fahrspuren werden; die Autobahnagentur "Highways England" begann, entsprechende Systeme zu testen.

Diese Projekte schliefen wieder ein, beziehungsweise: Sie schafften die nächsten Schritte vom proof-of-concept in die echte Welt nicht. Statt Fraunhofers induktiven 200-Sachen-Fahrspuren erhielt Siemens den Zuschlag für die "E-Highways", bei denen LKW Stromabnehmer wie bei Eisenbahn-Triebwagen oder bei elektrischen Oberleitungs-Stadtbussen aufgesetzt wurden. Die Ergebnisse waren durchwachsen, das ganze Projekt eher ein Artefakt der Förderlandschaft als eine wirkliche Alternative zum stationären Aufladen mit Steckern. Das größte Problem der E-Highways bleibt, dass der Strom nur für LKW zur Verfügung steht. Induktive Fahrbahnen dagegen könnten auch Lieferwagen und PKW versorgen. So ein Projekt an der Autobahn fand jedoch bisher nicht den Weg ins Fördergeldparadies, auch wenn Ansätze gelingen könnten. Auch die Briten kennzeichneten 2017 still und leise ihre Projektseiten mit dem Hinweis "zurückgezogen" und "Dieser Artikel ist nicht mehr aktuell". Stattdessen baut Highways England nun Schnellladeparks mit Steckern.

Die Firma Electreon mischt bei der Mehrzahl der Projekte induktiver Fahrspuren mit. Sie hat ein modulares System entwickelt und bietet Gesamtpakete an: Charging as a Service

(Bild: Electreon / Stadtwerke Balingen)

2020 spülte es induktive Fahrspurprojekte wieder in die Presseverteiler. Ein prominenter Hersteller hatte sich in der Mehrzahl davon durchgesetzt: der israelische Hersteller Electreon. Dessen Angebot umfasst stationäres Laden beim Parken und dynamisches Laden während der Fahrt und schnürt auf Wunsche auch gleich ein Komplettpaket eines induktiven Systems, bei dem nur noch monatliche Gebühren entrichtet werden. Alles vom Bau bis zur Abrechnung erledigt die Firma (Charging as a Service). Electreons Technik besteht aus fertigen, in Serie produzierbaren Modulen, um die Kosten zu senken. Die Spulen werden unter dem Asphalt verlegt, am Straßenrand stehen dann nur noch in regelmäßigen Abständen Verteilerkästen für die Stromversorgung. Electreon hat die Technik so gestaltet, dass sie möglichst einfach ausgerollt werden kann. Die Spulenmodule etwa sind fest vergossen und liegen aneinander. Bei der Verlegung kann parallel das Stromversorgungskabel vom selben LKW abgerollt werden.

Verlegung der Spulenmodule unter dem Asphalt auf dem EnBW-Werksgelände.

(Bild: EnBW)

Ein Empfangsmodul zieht bei Electreon 35 kW. Das reicht für einen PKW auf der Autobahn, wenn auch bei 130 km/h der Großteil der Leistung für die Aufrechterhaltung der Geschwindigkeit gegen den Windwiderstand draufgeht. Bei größeren Fahrzeugen wie LKW oder Busse kommen mehrere Empfängerspulen zum Einsatz, üblicherweise sind es drei Stück mit demzufolge 105 kW Bruttoleistung. Der baden-württembergische Energieversorger EnBW testete das System 2020 zunächst mit einem eigenen Bus, der vom Werksgelände zu den Linien des öffentlichen Nahverkehrs fährt. Ab 2023 kamen öffentliche Verkehrslinien in Balingen dazu, zuerst das Bus-Shuttle zur Gartenschau, Ende 2023 begann der Linienverkehr in der Stadt. Allen diesen Fällen ist gemein, dass die Induktionsstrecke aus Kostengründen nur so lange gebaut wird, wie zum Betrieb der Linienstrecke nötig. Die drei induktiven Fahrbahnen in Balingen sind zwischen 100 und 500 m lang, dazu kommt eine Lademöglichkeit an der Haltestelle Stadthalle. Die Stadt Balingen erhofft sich vom Projekt ein "innovativeres Image", eine "Aufwertung der innerstädtischen Freibereiche" und einen Beitrag zu den vorgegebenen Dekarbonisierungsmaßnahmen.

Zwei Buslinien in Balingen wurden/werden teilweise induktiv elektrifiziert. Die Ladespuren müssen dabei so lang sein, dass der Bus über den Tag kommt. Im Hintergrund einer der nötigen Verteilerkästen.

(Bild: Electreon)

Wie so oft ist also die Technik nicht das Problem. Es wäre möglich, Fahrzeuge auf der Autobahn induktiv mit Strom zu versorgen, sodass ein E-Auto auf solchen Strecken beliebig weit fahren kann. Die Pausen wären dann wie bei einem großen Dieseltank eher menschlich bedingt. Es zählt aber wie immer nicht, was technisch möglich ist, sondern was wir bezahlen und was wir für diese Kosten erhalten. Der zusätzliche Komfort der Energieversorgung während der Fahrt dürfte jedem klar sein. Die Kosten dafür liegen jedoch vergleichsweise hoch. Es gibt ein Beispielprojekt in Detroit, bei dem Electreon-Spulen verlegt wurden. Die öffentliche Hand beteiligte sich mit 1,9 Millionen US-Dollar am Projekt. Die Strecke war eine Meile lang, also rund 1,6 km. Macht rund 1,2 Millionen Dollar oder 1,1 Millionen Euro pro Kilometer. Dazu kommt der nicht kommuniziert private Investitionsteil. Dazu kommen die Empfängereinheiten in Autos, die 750 bis 1000 Euro Mehrkosten pro Stück montiert ausmachen.

Der Streckenabschnitt 2 in Balingen im Bau aus der Vogelperspektive. Die Spuren sind nur so lange, wie sie zum Betrieb der Buslinie sein müssen. Trotzdem stellt sich die Kosten-Nutzen-Frage.

(Bild: EnBW / Stadtwerke Balingen)

Die Strecke in Detroit liegt im Stadtgebiet, wo es bereits viele Stromleitungen gibt. Auf der Autobahn kommen Leitungskosten hinzu, die über jene von Ladeparks hinausgehen. Ladeparks entstehen unter anderem an Stellen, an denen es hohe elektrische Anschlussleistungen gibt oder an denen man sie günstig hinbekommt. Der bekannte Ladepark "Seed and Greet" in Hilden etwa profitierte von Rechenzentren und anderen Großabnehmern im Gewerbepark, in dem noch einige Megawatt Leistung zur Verfügung standen. Wenn statt eines Standortes eine längere Strecke elektrisiert wird, erhöhen sich die Kosten.

Im Bahnverkehr geht man von 1,0 bis 1,5 Millionen Euro pro Kilometer Oberleitung aus. Im Straßenverkehr induktiv wird es selbst im Neubau eher teurer, in der Nachrüstung sowieso. Das Henne-Ei-Problem zusammen mit einer ganzen Reihe weiterer nicht beachteter Aspekte einmal außen vor: Das ist viel Geld für den eher kleinen Vorteil, dass ich an jeder Raststätte halten kann statt an jener, an der mein Auto einen freien CCS-Stecker mit fetter Ladeleistung vermeldet. Wieder der Vergleich mit der Bahn: Es gibt mittlerweile Triebwagen mit einer Batterie, die genügt, um die Teilstrecken ohne Oberleitung zu überwinden. Das ist billiger als der Oberleitungsausbau. Ein flächendeckender Ausbau induktiver Fahrspuren auf Autobahnen ist damit unwahrscheinlich.

Verantwortliche aus Politik und Wirtschaft signieren eine Electreon-Spule zum Start des Betriebs in Detroit, vor dem elektrischen Demo-Lieferwagen. Die öffentliche Hand schoss knapp 2 Millionen Dollar zu für eine Meile Induktion.

(Bild: Michigan Department of Transportation)

Fraunhofer erstellte schon 2009 eine Studie zum Thema, deren Prognose sich als korrekt erwiesen hat:

Zur Ladung von Elektrofahrzeugen ist aus wirtschaftlicher Sicht aufgrund deutlicher Mehrkosten gegenüber der konduktiven Ladung vorläufig keine flächendeckende Durchsetzung der induktiven Technik zu erwarten. Prinzipiell kann sich unter bestimmten Voraussetzungen aber eine regional gebundene Nischenanwendung ergeben.

Das kann man weitere 15 Jahre so stehen lassen.

(cgl)