Zahlen, bitte! 10.916 Meter – Die Rekordtauchfahrt der Trieste

Jahre vor der Mondlandung erreichten Jacques Piccard und Don Walsh als erste Menschen im Marianengraben eine der tiefsten Stellen der Weltmeere.

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Inhaltsverzeichnis

Die Tiefsee ist noch weniger erforscht als der Mond. Das wirkt auch nur auf den ersten Blick paradox: Zwar ist sie uns um einiges näher als die Mondoberfläche, dennoch gilt die schiere Tiefe wie ein Trenner, die wie eine dichte Atmosphäre die Erforschung – insbesondere im bemannten U-Boot – sehr kostenintensiv macht. Außerdem versprach sich die Wissenschaft lange Zeit nur wenig Erkenntnisse aus der Tiefsee: Die Forscher nahmen lange an, dass dort der Wasserdruck zu hoch sei, als dass dort eine nennenswerte Anzahl an Lebewesen existieren kann. Ein Irrtum, wie sich später herausstellte.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Es brauchte den Mut zweier Abenteurer, den tiefsten Punkt der Ozeane zu erforschen: Am 23. Januar 1960 erreichten der US-Marineleutnant Don Walsh sowie der Schweizer Ozeanograph Jacques Piccard mit dem Spezial-U-Boot Bathyscaph Trieste den Grund des Challengertiefs im Marianengraben, einer Tiefseerinne im Pazifischen Ozean.

Sie liegt rund 300 Kilometer südwestlich der Insel Guam und östlich der Philippinen. Mit der Tiefe von 10.916 Metern erreichten die Pioniere eine Tiefe, die für Jahrzehnte den Rekord für die tiefste Tauchfahrt halten sollte.

Marineleutnant Don Walsh (links) und Jacques Piccard in der Trieste

(Bild: NOAA Ship Collection)

Das Abenteurergen lag bereits in der DNA der Familie Piccard: Vater Auguste und Onkel Jean Felix holten in den 1930ern Höhenrekorde in selbst entwickelten Stratosphärenballons. Auguste war es zudem, der bereits 1937 Konzept-Pläne für ein Tiefsee-U-Boot entwickelte. Der Zweite Weltkrieg behinderte zunächst die Weiterentwicklung: 1945 begann die Entwicklung des FNRS-2 – dem Vorgänger der Trieste. Der Entwurf war allerdings noch nicht ausgereift und damit nur eingeschränkt nutzbar.

Die Erfahrungen flossen in das Design der Trieste ein, die von Auguste und Sohn Jacques Piccard zusammen entwickelt wurden und deren Pläne im Jahr 1952 in Produktion gingen. Am 1. August 1953 hatte das im italienischen Triest gebaute U-Boot seinen Stapellauf. Im September 1953 gelangen den beiden im Tyrrhenischen Meer nahe der italienischen Insel Ponza eine erste Rekordfahrt mit der Trieste: Sie erreichten eine Tiefe von 3139 Meter.

Schematische Darstellung des Tiefsee-U-Bootes Trieste. Der große Körper beinhaltetet Ballast und Auftriebmittel, in der Kugel unterhalb des Bootes befindet sich der Raum, indem die Tiefseeforscher arbeiteten.

(Bild: U.S. Naval Historical Center Photograph, Überarbeitung: Ralph Sutherland)

Die Trieste war etwa 18 Meter lang, 3,51 Meter breit und verdrängte etwa 51 Tonnen. Das, was wie der Rumpf eines normalen U-Boots aussieht, ist allerdings nur der Ballastkörper. Die zwei Personen fanden in der Kugel unterhalb des Rumpfes Platz. In den Tanks befanden sich zum Auftrieb Benzin und als Ballast Wasser. Zudem waren zwei mit Stahlkugeln gefüllte Behälter dabei, die von Elektromagneten gehalten wurden. Diese dienten als Sicherheitsvorrichtung: Wenn der Strom ausgefallen wäre, hätten sich die Kugeln vom Boot gelöst, und durch den Auftrieb des Benzins wäre es von selbst wieder aufgetaucht.

Die vielversprechenden Versuche lockten die US-Marine an: Sie benötigte ein Tiefsee-U-Boot, um nach verschollenen Schiffen oder U-Booten zu suchen. Also übernahm sie im Jahr 1958 das U-Boot und rüstete es mit einer stabileren Tauchkugel aus, die bei Krupp in Essen gegossen wurde. Somit stieg die maximale Tauchtiefe von zunächst 6100 Meter auf über 10.000 Meter.

Zwar gaben die Piccards ihr Tiefsee-U-Boot ab, allerdings hatte sich Jacques Picard von der Armee vertraglich zusichern lassen, dass er bei jedem besonderen Tauchgang dabei sein darf. Die Klausel wurde kurz vor dem Rekordtauchgang 1960 wichtig, da die US-Marine ihn durch einen Marine-Angehörigen ersetzen wollte.

In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung beschrieb er die Diskussion: "Die US-Armee wollte nicht, dass ich tauche, sie wollten zwei Amerikaner hinunterschicken. Sie haben sogar einen Anwalt nach Guam geschickt und mir gesagt: Monsieur Piccard, Ihre Rolle ist beendet, Sie haben das Bathyscaphe der amerikanischen Armee verkauft. Aber ich hatte einen Vertrag mit der amerikanischen Marine, der mir das Recht einräumte, bei jedem besonderen Tauchgang dabei zu sein. Sie schauten sich den Vertrag an und sagten, die Unterschrift stamme von jemandem, der schon gestorben sei. Ich fragte sie: Wer hat 1776 Ihre Unabhängigkeitserklärung unterschrieben? Da lenkten sie ein."

Jacques Piccard (rechts) befüllt vor einer Fahrt im November 1959 die Trieste mit Ballast.

(Bild: National Museum of the U.S. Navy)

Am 23. Januar 1960 tauchte die Trieste in den Marianengraben hinab. Der Abstieg dauerte etwa viereinhalb Stunden und die Temperatur sank beim Abstieg von 30 °C über der Wasseroberfläche bis auf 1,8 °C Wassertemperatur kurz vor dem Meeresgrund. Mitten im Abstieg wurde es auf einmal brenzlich, als es im Boot plötzlich knallte: Ein Fenster der Einstiegsröhre war beschädigt, konnte dem Wasserdruck aber trotzdem noch Stand halten. Den Schaden bemerkten die zwei Tauchfahrer erst nach dem Aufstieg.

Nahe dem Grund angekommen war Jacques Piccard verblüfft, als er auf der hellen, schlickartigen Oberfläche einen Plattfisch entdeckte – in dieser Tiefe rechneten sie nicht mit nennenswerten Tierfunden. Nach rund einer halben Stunde setzten sie zum Aufstieg an, der wiederum dreieinhalb Stunden dauerte, bis sie wieder die Wasseroberfläche erreichten.

Das Meerestief wurde nach der Rekordfahrt Triestetief genannt. Die Bestmarke des tiefsten Tauchgangs wurde erst 2012 von Titanic-Regisseur James Cameron egalisiert, und 2019 in einer Expedition des umtriebigen Abenteurers Victor Vescovo getoppt: Er tauchte mit dem Spezial-U-Boot "Limiting factor" sogar 10.928 Meter tief und fand auf dem Meeresgrund eine Plastiktüte. Don Walsh war damals auf dem Versorgungsschiff der Mission zugegen. Er starb am 12. November 2023 mit 92 Jahren. Jacques Piccard setzte sich wie Walsh zu Lebzeiten der Erforschung der Meere ein. Er starb am 1. November 2008.

Die Trieste wurde weiter von der US-Marine auf der Suche nach verschollenen Schiffen und U-Booten eingesetzt, indem es etwa 1963 das versunkene Atom-U-Boot USS Tresher aufspürte. Nach Außerdienststellung wurde es im National Museum der U.S. Navy ausgestellt, wo es bis heute besichtigt werden kann.

(mawi)