Zahlen, bitte! 156.500 Dollar für ein bisschen Privatsphäre

Peter Norton, bekannt für die Norton-Utilities, verhalf Autor J. D. Salinger zu mehr Privatsphäre: Er kaufte intime Briefe auf und gab sie dem Autor zurück.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 12 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Peter Norton, Entwickler des Norton-Commanders – jenem Dateimanager, der die Verwaltung des MS-DOS-Betriebssystems erträglich machte – schützte im Jahr 1999 ganz analog die Privatsphäre des damals 80 Jahre alten Kult-Schriftstellers J.D. Salinger, Autor des Romans "Der Fänger im Roggen". Norton gab das Höchstgebot von 156.500 Dollar auf einer Auktion ab, bei der Briefe von Salinger an eine damals junge Frau versteigert werden sollten. Was sie erzählten, ist bis heute nicht bekannt: Kunstsammler Norton schickte den Auktionsgewinn ungesehen an Salinger mit der Notiz: Er möge mit diesen Briefen machen, was er wolle.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Somit half ausgerechnet der Vater des Undelete-Utility für DOS-Systeme – welches manche Datei aus der Unsichtbarkeit und Privatsphäre holte – Schriftsteller Salinger, sich weiterhin der Öffentlichkeit zu entziehen, der sich in den 60er-Jahren zurückzog und bis zu seinem Tod seine Privatsphäre hartnäckig verteidigte.

Mit seinem 1951 geschriebenen Roman "Der Fänger im Roggen" katapultierte sich der Schriftsteller J.D. Salinger unter die Top-Autoren der Nachkriegszeit. Bis heute sind von der Geschichte des heranwachsenden Holden Caulfield Millionen Exemplare verkauft worden. Jährlich verschlingen Hunderttausende Teenager das Buch, an dem Salinger 10 Jahre lang geschrieben hatte.

US-Schriftsteller Jerome David Salinger, (* 1. Januar 1919 in New York; † 27. Januar 2010 in Cornish, New Hampshire) wurde mit dem 1951 erschienenen Roman Der Fänger im Roggen (The Catcher in the Rye)) zu einem der bekanntesten US-Autoren der Nachkriegszeit.

(Bild: Lotte Jacobi)

Die ersten sechs Kapitel des Buches trug er als Soldat bei der Landung in Frankreich am D-Day im Marschgepäck. Zum traurigen Aspekt des Adoleszenz-Kultes um das Buch gehört der Mord an John Lennon am 8. Dezember 1980: Der geistig verwirrte Mark David Chapman erschoss Lennon, um die Menschheit dazu zu bewegen, den "Fänger im Roggen" zu lesen, um ebendiese Kinder im Roggen zu beschützen, wie er in einem Brief an die New York Times erläuterte. Als Lennon sein New Yorker Hotel verließ, signierte er auf Drängen von Chapman Salingers Buch, als er von der Aufnahme zum Hotel zurückkam, wurde er erschossen.

J.D. Salinger hatte sehr schnell genug vom Status eines Kult-Autors. 1965 zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück: Seine letzte Geschichte war Hapworth 16,1924. Anders als etwa bei Thomas Pynchon, der in die Anonymität ging, aber weiter publizierte, schaffte Salinger sich komplett als Autor ab und begann einen zähen Kampf um seine Unsichtbarkeit. Er ging so weit, alle seine bis dahin veröffentlichten Briefe, Interviews und sonstigen Veröffentlichungen unter einen besonderen Copyright-Schutz zu stellen.

Das betraf selbst einen bereits veröffentlichten Brief, in dem er erklärte, warum er die Film-Rechte am "Fänger im Roggen" nicht verkauft. Er versuchte auch, alle Ausgaben des "Fänger Im Roggen" zu verbieten, die in irgendeiner Form Holden Caulfield als Illustration auf dem Cover zeigen wollten.

Peter Norton konnte sich den Kauf der Salinger-Briefe und die anschließende Rückgabe der Briefe von Salinger ohne Wenn und Aber jedenfalls leisten. Bemerkenswert ist sein damaliger Kommentar zu den gehässigen Artikeln über die Verkäuferin. Die geschiedene Mutter mit drei Kindern "hat ein Recht und wirklich die Pflicht für sich selbst und ihre Kinder die ökonomische Sicherheit zu realisieren".

Doch wie kam Norton zu dem Reichtum? Peter Nortons Karriere startete nach fünf Jahren Meditation als Mönch in einem buddhistischen Kloster mit Programmen für IBM-Großrechner, die den RAM-Bereich freigaben, der eigentlich nur für Diagnose-Zwecke von IBM-Technikern benutzt werden durfte. Anschließend kaufte er sich einen der ersten IBM-PCs und begann, sich intensiv mit der Architektur des "Klotzes" (Norton: Kludge) zu beschäftigen. Als er versehentlich eine Datei löschte, untersuchte er systematisch die Art und Weise, wie das DOS-Betriebssystem Dateien löscht.

Das Resultat war Norton Undelete, ein Programm, das – um es mit heutigen Begriffen grafisch erzogener Nutzer zu erklären – eine Datei aus dem Papierkorb zurückholt. Norton deklarierte das Programm als Public Domain und so landete es auf Diskette 15 der legendären PC-SIG Library und verbreitete sich schnell in der ganzen PC-Welt. Zu diesem Programm gesellten sich bald eine Reihe weiterer Helferlein: Die Norton Utilities waren geboren.

Ein Screenshot der Norton Utilities für das Betriebssystem MS-DOS.

(Bild: Daniel A. Sokolov)

Der wichtigste Unterschied zu anderen Hilfprogrammsammlungen dieser Zeit wie die Red Utilities: Peter Norton erklärte seine Programme in einfacher, verständlicher Sprache. Die Fähigkeit, sein Wissen zu vermitteln, brachte ihm eine Reihe von Artikelaufträgen für Zeitschriften wie "PC-Magazine" ein. Sein erstes Buch "Inside the IBM PC: Access to Advanced Features & Programming (Techniques)" wurde prompt ein Klassiker der PC-Literatur: "Dies ist der Beginn einer wunderbaren Entdeckungsreise zu den Geheimnissen, Wundern und Mysterien des IBM-Personalcomputers und zu den Computern, die um ihn herum entstanden."

Den Norton Utilities folgten eine ganze Reihe von Programmen, die mehr waren als eine schlichte Hilfe, vom Dateijongleur Norton Commander über Norton Backup bis zum Antivirus-Programm. Gleichzeitig wurde Peter Norton (mit zahlreichen Mitarbeitern) der wichtigste US-Autor von Computerbüchern, immer mit seinem Konterfei auf dem Cover, mit verschränkten Armen, aufgekrempelten Hemdsärmeln und einem leicht spöttischen Blick. Als Symantec im Jahre 1990 seine Firma für 70 Millionen Dollar übernahm, wurde dieses coole Image als Warenzeichen geschützt.

Norton selbst zog sich aus der IT zurück und betätigte sich fortan als Kunstsammler moderner Kunst und als Mäzen. Zusammen mit seiner ersten Frau Eileen installierte er eine Stiftung, die Stipendien an junge schwarze Künstler vergab.

Ein Jahr vor seinem Tod gewann J.D. Salinger seinen letzten Prozess gegen den schwedischen Autor Frederik Colting in den USA. Er hatte unter dem Pseudonym JD California eine Fortsetzung unter dem Titel "60 Years Later: Coming Through the Rye" geschrieben: Das Buch durfte zwar in den USA nicht erscheinen, aber in Großbritannien.

Längst kämpft der Sohn Matt Salinger weiter: Die Manuskripte und Briefe seines Vaters liegen im Archiv der Universität Maryland. Ihr ist es untersagt, sie auf Mikrofilm zu kopieren und vor dem Verblassen zu retten. Peter Norton feierte im November 2023 seinen 80. Geburtstag. Er ist heute einer der größten Kunstsammler Amerikas und in den Beiräten vieler Museen aktiv.

(mawi)