Kommentar: Apples Auto-Reißleine war richtig

Seit zehn Jahren arbeitet Apple schon an einem autonomen E-Auto und kam zuletzt einfach nicht voran. Die Einstellung ist teuer, aber sinnvoll, meint Ben Schwan.

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CarPlay 2023

Apples CarPlay: Die Technik wird uns erhalten bleiben, setzt aber eine Kooperation der Hersteller voraus.

(Bild: Apple)

Lesezeit: 4 Min.

Mindestens seit dem Jahr 2014 soll Apple an seinem Fahrzeugprojekt gewerkelt haben. Immer wieder gab es dabei interne Umbaumaßnahmen, Managementwechsel und Strategieänderungen. Ein vollständig autonomes E-Auto ohne Lenkrad war anfangs geplant, hieß es aus der Gerüchteküche. Später fuhr Apple mit KI-gestützten Minibussen über seinen Campus, zum Schluss sollte es – bis vielleicht 2028 – nur noch ein Elektromobil mit "Level 2+"-Autonomie sein, zu Preisen von rund 100.000 US-Dollar. Daneben ließ der Konzern eigene autonome Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen prüfen, was auch öffentlich sichtbar war. Aus der Ferne wirkte das alles reichlich ungesteuert. Und irgendwie so gar nicht wie ein gut geplantes Apple-Projekt.

Seit gestern ist Schluss mit alldem: Das Projekt der sogenannten Special Projects Group (SPG), in den Medien auch "Project Titan", "Apple Car" oder "iCar" genannt, wird nach langem Hin und Her beerdigt, wie die Finanznachrichtenagentur Bloomberg berichtet. Apple hat die Reißleine gezogen und gut 2000 Mitarbeiter werden entweder in die (gerade sehr hippe, aber höchst wichtige) generative KI versetzt oder müssen gehen. Ist das eine Niederlage für den erfolgsverwöhnten iPhone-Produzenten? Auf den ersten Blick sicher: ja. Auf den zweiten erstaunlicherweise: nein.

Natürlich werden nun bei Tesla, den zahlreichen chinesischen E-Auto-Bauern und den traditionellen Fahrzeugherstellern die Korken knallen. Apple mit seiner Marketingmacht und seiner Innovationskraft geht nicht in ihre Branche, disruptiert sie nicht wie einst Computer (Apple II, Mac), die Musikspieler (iPod) oder das Smartphone (iPhone). Es zeigt aber auch etwas anderes: dass Apple auch als Billionen-schwerer Großkonzern noch in der Lage ist, Prioritäten zu setzen. Ein anderes Unternehmen hätte nach der jahrelangen Arbeit und den Milliarden, die in das Projekt geflossen sind, einfach weitergemacht, bis dann irgendein Kompromiss herausgekommen wäre, Stichwort Sunk-Cost Fallacy. Apple hingegen setzt auf ein Ende mit Schrecken als einen Schrecken ohne Ende. Eine Art AirPower in Groß und sehr, sehr teuer.

Ein Apple-E-Auto hätte den Markt sicher bereichert. Aus Apples Sicht hätte es eine Menge zu verbessern gegeben, von der eigentlichen Fahrzeugtechnik über die Bedienung, das Aufladen bis hin zur autonomen Fahrweise. In dem Sektor gibt es noch so viele kleine Nickeligkeiten, um die sich Cupertino hätte kümmern können. Aber zuletzt gelang es nicht einmal, Tesla einzuholen, das in den Zeiten des Project Titan (je nach Zählweise) drei oder vier neue Fahrzeuge entwickelt und auf den Markt gebracht hat. Es wäre sicher schön gewesen, hier Apples Vision zu sehen. Wer das Geld dafür gehabt hätte, steht auf einem anderen Blatt.

Ein Kommentar von Ben Schwan

Mac & i-Redakteur Ben Schwan schreibt seit 1994 über Technikthemen und richtet sein Augenmerk mittlerweile insbesondere auf Apple-Geräte. Er mag das Design von Mac, iPhone und iPad und glaubt, dass Apple nicht selten die benutzerfreundlicheren Produkte abliefert. Immer perfekt ist die Hard- und Software-Welt aus Cupertino für ihn aber nicht.

Vielleicht hat Apple aber auch gesehen, wie sehr sich diese Branche gewandelt hat und noch wandeln wird. Junge Menschen wollen immer seltener eigene Autos haben, leihen sie lieber oder sind zu Fuß und per E-Bike unterwegs. Natürlich hätte Apple mit derart teuren Produkten seinen Umsatz gewaltig steigern können. Doch zu welchen Kosten? Wie hätte man den Vertrieb organisieren können, wie Werkstattnetz und Support? Wollte man sich das zuletzt noch geben, wenn es intern scheinbar nicht einmal Übereinstimmung gab, in welche Richtung es ging? Zuletzt sprach wohl CEO Tim Cook ein Machtwort, ließ dann seinen Mitarbeiter Nummer 1, Chief Operation Officer Jeff Williams, die Entscheidung verkünden. Es gab zudem auch Druck vom Verwaltungsrat. Übrigens gab es über die Nachricht nicht einmal Aufregung an der Börse. Die Frage ist nun allerdings, wie es weitergeht. Was ist das nächste große Projekt? Ich wäre dafür, die Vision Pro schnellstmöglich zu miniaturisieren …

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(bsc)