Kommentar: Hass lässt sich nicht weglöschen

Der Hass im Netz greift immer mehr auf das reale Leben über, bis hin zu Mordanschlägen. Der Staat zeigt sich in dieser Krise hilflos, meint Joerg Heidrich.

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In dieser Tankstelle starb ein Mann, weil er auf die Schutzmaskenpflicht hinwies.

(Bild: dpa / Christian Schulz)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Joerg Heidrich
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Rechtsradikale, Reichsbürger, Q-Anon, militante Impfgegner: Täglich radikalisieren sich diese Gruppierungen mehr, manifestiert in Brandanschlägen, Angriffen auf Journalisten oder gar Morden wie dem an einer Tankstelle in Idar-Oberstein. Vorgaben des Staates vom Versammlungsrecht bis weit ins Strafrecht werden offen ignoriert.

Ein Kommentar von Joerg Heidrich

Joerg Heidrich ist Justiziar und Datenschutzbeauftragter bei Heise Medien; als Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht beschäftigt er sich seit über fünfzehn Jahren mit den Problemen des Internet- und Medienrechts.

Dies bleibt auch auf der anderen Seite der Gesellschaft nicht folgenlos. Sie wird zunehmend ungehaltener und wütend, weil sich Politik, Polizei und die Strafverfolgungsbehörden schon seit Monaten von einer radikalen, aber doch recht kleinen Minderheit vor sich hertreiben lässt, sie genießt anscheinend Narrenfreiheit.

Den Schuldigen für diese gesellschaftliche Spaltung hat die Politik bereits ausgemacht: die Betreiber der großen sozialen Netzwerke. Während bislang vorrangig Facebook im Visier von Innen- und Justizpolitik war, ist nun Telegram Mutter allen Übels. Einen Dienst, den c't einmal als "Darknet in der Hosentasche" bezeichnet hat.

Die Vorwürfe sind nicht unberechtigt. Die Wenigsten werden sich einmal persönlich angesehen haben, was dort in vielen Gruppen tatsächlich geschieht: Gewaltaufrufe, Morddrohungen, Antisemitismus, Menschenverachtung und vor allem Lügen im Sekundentakt. Aber das ist eben auch nur ein Teil des ganzen Bildes, denn Telegram dient Millionen von Nutzern einfach als alltägliche Kommunikationsplattform und war zudem immer wieder ein wichtiges Instrument demokratischer Aktivisten, etwa in Belarus.

Trotzdem sagen Innenpolitiker wie die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nun Telegram "den Kampf an". Und das sagt schon alles über die Hilflosigkeit der deutschen Politik im Umgang mit dieser Krise. Denn der Versuch, den Betreiber des sozialen Netzwerks zum Hauptverantwortlichen für strafbare Äußerungen auf seiner Plattform zu machen, hat schon bei Facebook kaum dazu beigetragen, die Radikalisierung in manchen Teilen der Gesellschaft zu verhindern. Das gilt umso mehr für den Ansatz, gegen "Hass im Netz" primär auf Sperrungen von fragwürdigen Beiträgen zu setzen. Dieses Konzept hat sich schon im Kampf gegen dokumentierten Kindesmissbrauch als wenig sinnvoll erwiesen.

Denn das Sperren und Löschen von rechtswidrigen Beiträgen hilft vielleicht den Betroffenen, lässt die Ursachen aber außen vor. Tatsächlich dürfte es die meisten Nutzer nicht einmal besonders interessieren, dass ihr mehrere Tage alter volksverhetzender Beitrag auf irgendeiner Plattform irgendwann gesperrt ist. Die Verlagerung der Verantwortlichkeit vom einzelnen User hin zu Telegram oder Facebook hat zur Folge, dass sich die Verfasser von Postings kaum darüber Gedanken machen müssen, ob auch die härtesten und strafrechtlich relevanten für sie persönlich Folgen haben könnte. Und natürlich verschwindet mit dem Löschen von Beiträgen auch nicht der Hass der Verfasser.

Es erscheint rätselhaft, warum allein der Netzwerkbetreiber Verantwortung für Postings übernehmen soll – und nicht etwa die Betreiber von Gruppen. So finden sich gerade auf Facebook sogar auf den Seiten von deutschen Parteien oder Medienunternehmen heftige und strafrechtlich relevante Kommentare, für die sich der Anbieter offenbar nicht verantwortlich sieht und die gar nicht oder nur schlecht moderiert werden.

Insofern ist es unverständlich, dass jeder Forenbetreiber für die Inhalte der Nutzer ab Kenntnis haften soll, der Administrator einer Facebook-Gruppe, eines Instagram-Auftritts oder eines YouTube-Channels sich jedoch völlig beruhigt auf das Nichtstun zurückziehen kann, verantwortlich sind ja Facebook & Co.

Nun also hat Telegram Facebook abgelöst und findet sich im Zentrum des politischen Interesses wieder. So läuft es in der politischen Aufmerksamkeitsökonomie. Doch machen wir uns nichts vor: Wenn Telegram morgen verboten werden könnte, würde die Hetz-Karawane zum nächsten Anbieter weiterziehen und dort einen neuen Anlauf nehmen. Anbieter wie Parler stehen schon bereit und freuen sich über Kundschaft von den politischen Rändern.

Ohnehin bricht sich der Hass in Gruppen weiterhin auf allen sozialen Netzwerken Bahn. Ein Blick in die Auswertungen der Recherchegruppe DieInsider auf Twitter legt schockierende Inhalte insbesondere in geschlossenen Gruppen offen. Und wer einmal Hass und Mobbing live in seiner widerlichsten Form erleben möchte, der sollte seinen Blick auf die vielen unfassbaren Kommentare auf YouTube richten.

Wann ist es in Deutschland eigentlich üblich geworden, dass inzwischen schon regelrecht üblich gewordene Todesdrohungen allenfalls mit einem Schulterzucken hingenommen werden? Was die Gesellschaft jetzt braucht, sind keine einfachen Lösungen und populistische Versprechen. Gefragt ist ein wehrhafter Rechtsstaat mit engagierten und personell gut ausgestatteten Strafverfolgungsbehörden.

Um gegen Zivilisationsbrüche vorzugehen, braucht es die seit Jahren geforderte aber immer noch nicht angemessen umgesetzte Ausstattung der Polizei mit Personal und zeitgemäßer Technik. Und keine Frage: Auch Telegram, Facebook und Co. sind in der Pflicht, die Strafverfolger nach Kräften zu unterstützen und sie mit den benötigten Daten zu versorgen.

Da könnte das bislang kaum praxisrelevante Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) helfen. Allerdings ist es juristisch umstritten, ob dessen Regelungen überhaupt auf Telegram anwendbar sind. Sollte das der Fall sein, so wäre dieser Dienst wie alle anderen Social-Media-Anbieter auch ab Februar 2022 verpflichtet, schnellstmöglich die Daten von potenziellen Tätern an das Bundeskriminalamt (BKA) zu übermitteln, das dann für Strafverfolgung sorgen soll. Dies könnte tatsächlich dabei helfen, nicht nur die Netzwerke zu regulieren, sondern konkret Täter für ihre rechtswidrigen Äußerungen im wahrsten Sinne des Wortes in Haft zu nehmen.

Was wir aber nicht brauchen, sind weitere Einschnitte in die bürgerlichen Freiheiten der Netzbürger etwa in Form einer Klarnamenspflicht. Die nötigen juristischen Instrumente sind vorhanden und müssen genutzt werden. Denn letztlich helfen gegen Hetze und Hasskriminalität keine Symbolpolitik und keine Schnellschüsse, sondern ein wehrhafter und selbstbewusster Rechtsstaat. Dieser braucht allerdings die aktive Unterstützung von sozialen Netzwerken und Providern, die notfalls auch per Gesetz erzwungen werden muss. Und natürlich ist auch die Gesellschaft gefragt, sich rechtsradikalen, wissenschaftsfeindlichen, antisemitischen oder rassistischen Äußerungen nicht nur im Netz aktiv entgegenzustellen.

(anw)