EU erlaubt Ausspähung von Journalisten unter Auflagen

Die Sicherheitsbehörden der EU-Länder brauchen laut Medienfreiheitsgesetz künftig bessere Begründungen, wenn sie Journalisten ausspionieren.

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Hand mit Seilen

(Bild: Lightspring/Shutterstock.com)

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Am Freitagnachmittag einigten sich die Unterhändler des Europäischen Parlaments, des Ministerrats und der Kommission auf ein Medienfreiheitsgesetz. Es enthält eine Anti-Spyware-Klausel, mit der die Gesetzgeber auf die Skandale um Spionagesoftware wie Pegasus und Predator in vielen Mitgliedsstaaten reagieren. Doch das Gesetz ist löchrig. So dürfen Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung "schwerer Straftaten" Staatstrojaner gegen Mediendiensteanbieter sowie deren Beschäftigte und Angehörige einsetzen. In diesem Fall wäre eine Genehmigung und Überprüfung der Überwachungsmaßnahmen durch Richter in regelmäßigen Abständen erforderlich.

Der Begriff der schweren Straftaten ist weit gefasst. Das Parlament hat ihn nach eigenen Angaben auf solche begrenzt, "die in dem jeweiligen Mitgliedsstaat mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden". Auch dieser Zusatz bleibt sehr vage. Frühere Entwürfe sahen vor, den Einsatz von Spionagesoftware bei Ermittlungen wegen Straftaten zuzulassen, die mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind. Presse- und Bürgerrechtsorganisationen kritisierten im Juni, dass darunter auch Brandstiftung oder Produktpiraterie fallen würden. Dies sei grundrechtlich problematisch. Laut einem Bericht soll sich der nun vereinbarte Straftatenkatalog vor allem auf Verbrechen wie Terrorismus und Mord konzentrieren. Der konkrete Gesetzestext liegt allerdings noch nicht vor.

Für Aufregung im Vorfeld sorgte auch die Forderung des EU-Rates, dass die Sicherheitsbehörden aus Gründen der "nationalen Sicherheit" auch Medienvertreter mit Spionagesoftware ausspionieren dürfen. Diese Klausel haben die Unterhändler, wie von den Volksvertretern gefordert, komplett aus dem Gesetzestext gestrichen. Stattdessen enthält dieser jetzt die Formulierung, dass der Europäische Medienfreiheitsakt (EMFA) die in den EU-Verträgen festgelegten nationalen Zuständigkeiten "respektiert". In der Praxis dürfte dies wenig ändern: Die EU-Länder sind generell für Maßnahmen im Bereich der nationalen Sicherheit zuständig. Sie können also weiterhin eigenständig Regeln für den Einsatz von Staatstrojanern auch gegen Journalisten festlegen.

Immerhin konnten die Abgeordneten eine Klarstellung durchsetzen: Setzen Ermittler komplexe Überwachungssoftware gegen Medienvertreter ein, gilt das Recht der Betroffenen, "über die laufende Überwachung informiert zu werden und gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen". Verleger und Journalisten könnten gegen solche Maßnahmen also klagen. Darüber hinaus können Journalisten und Redakteure grundsätzlich nicht gezwungen werden, ihre Quellen preiszugeben, etwa durch Verhaftung oder andere Sanktionen – etwa ihre Büros zu durchsuchen. Solche Eingriffe sind im Einzelfall jedoch "aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses" und mit Genehmigung einer Justizbehörde zulässig.

Verlegerverbände hatten im Vorfeld auf eine weitergehende "Medienausnahme" gedrängt. Danach hätten etwa Facebook, X und YouTube Inhalte von Medienhäusern in jedem Fall anzeigen müssen. Betreiber sehr großer Online-Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzern in der EU müssen laut der Einigung nun unabhängige Medien von nicht unabhängigen Quellen unterscheiden. Privilegierte Presseorgane müssen informiert werden, wenn ein soziales Netzwerk ihre Inhalte löschen oder beschränken will. Sie haben dann in der Regel 24 Stunden Zeit, darauf zu reagieren.

Ist die Plattform nach der Antwort oder bei Nichtäußerung weiterhin der Ansicht, dass der Medieninhalt nicht ihren Bedingungen entspricht, kann sie weiterhin löschen oder einschränken. Hält die Gegenseite die Entscheidung für unzureichend begründet und für einen Verstoß gegen die Medienfreiheit, kann sie zunächst eine außergerichtliche Schiedsstelle anrufen und eine Stellungnahme des geplanten Europäischen Ausschusses für Mediendienste einholen. Diese soll das bisherige EU-Gremium der nationalen Regulierungsbehörden für audiovisuelle Dienste ersetzen.

Mit der Verordnung will die EU vor allem das Problem der direkten Medienbeeinflussung durch Regierungen von Mitgliedsstaaten wie Griechenland, Bulgarien, Ungarn, Polen, Rumänien und Zypern angehen, die in der Rangliste für Pressefreiheit der Reporter ohne Grenzen auf den hinteren Rängen landen. Deutschland ist dort in diesem Jahr um fünf Plätze auf Rang 21 abgerutscht.

Die Länder müssen künftig sicherstellen, dass die Bürger Zugang zu einem breiten Spektrum redaktionell unabhängiger Medieninhalte haben. Sie müssen die redaktionelle und funktionelle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien gewährleisten, indem sie die Leiter und Mitglieder der Verwaltungsräte in transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren ernennen, die Finanzierungsquellen transparent machen und dauerhaft sichern, die Unabhängigkeit der Medien überwachen und dies in öffentlichen Berichten nachweisen.

Alle Medien sollen Informationen über ihre direkten und indirekten Eigentümer in einer nationalen Datenbank veröffentlichen. Sie sind verpflichtet, über Einnahmen aus staatlicher Werbung und über staatliche Subventionen zu berichten. Dazu gehören auch Gelder aus Drittstaaten. Um sicherzustellen, dass Medienunternehmen nicht von staatlicher Werbung abhängig werden, müssen öffentliche Mittel für Mediendiensteanbieter oder Online-Plattformen in offenen und diskriminierungsfreien Verfahren auf der Grundlage öffentlicher Kriterien vergeben werden. Die Mitgliedstaaten sind zudem verpflichtet, die staatlichen Werbeausgaben auf eine breite Medienvielfalt zu verteilen.

"Die Einigung markiert einen bedeutenden Meilenstein für die Medienfreiheit und einen großartigen Moment für die Wahrung der Rechte von Journalisten in der EU", betonte die Verhandlungsführerin des Parlaments, Sabine Verheyen (CDU). "Zum ersten Mal wird es im EU-Recht Schutzmaßnahmen geben, um Journalisten und die Medien vor dem missbräuchlichen Einsatz von 'Spyware' zu schützen."

Regulierung habe noch nie zu mehr Medienfreiheit geführt, kritisieren hingegen der Bundesverband Digitaler Publizisten und Zeitungsverleger (BDZV) und der Medienverband der freien Presse (MVFP): "Während die Presse mit wirtschaftlichen, regulativen und wettbewerblichen Herausforderungen zu kämpfen hat, schnürt die EU ein Korsett, das keines der Probleme angeht und stattdessen die Pressefreiheit gefährdet." Es werde eine behördliche Überwachung etabliert und "die Zensur legaler Presseveröffentlichungen durch die digitalen Torwächter gesetzlich gebilligt". Rat und Parlament müssen dem Kompromiss noch formell zustimmen.

(hag)