Europäisches Patentamt will Unsicherheiten bei Softwarepatenten klären

Die Präsidentin der Münchner Behörde, Alison Brimelow, hat der Großen Beschwerdekammer der Institution die Klärung einer Reihe offener Fragen rund um die Patentierung "computerimplementierter Erfindungen" aufgetragen.

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Die Präsidentin des Europäischen Patentamtes (EPA), Alison Brimelow, will für mehr Rechtssicherheit bei der heftig umstrittenen Frage der Vergabe von Softwarepatenten sorgen. Die Britin hat dazu der Großen Beschwerdekammer der Münchner Behörde die Beantwortung einer Reihe offener Fragen rund um die Praxis der Institution zur Patentierung "computerimplementierter Erfindungen" aufgetragen. Sie reagiert damit verspätet unter anderem auf eine Bitte des britischen Berufungsgerichts. Der Court of Appeal in London hatte vor bald zwei Jahren in seiner abschließenden Entscheidung der Fälle Macrossan und Aerotel die EPA-Führung aufgefordert, den Kurs der Behörde bei der Vergabe gewerblicher Schutzansprüche auf Computerprogramme zu prüfen und mit den rechtlichen Vorschriften in Einklang zu bringen.

Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) schließt "Programme für Datenverarbeitungsanlagen" beziehungsweise Software "als solche" in Artikel 52 von der Patentierbarkeit aus, da diese genauso wie ästhetische Formschöpfungen, mathematische Methoden oder Verfahren für gedankliche Tätigkeiten nicht als technische Erfindungen zu bezeichnen seien. Die Prüfer und Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes legen diese Klausel seit Jahrzehnten aber so aus, dass sie Monopolansprüche auf "computerimplementierte Erfindungen" zulassen. So gehen sie etwa bei der "Verbesserung des Kontrastes von einem Bild" oder bei der effizienteren Aufteilung von Arbeitsspeicher durch eine auf einem Computer laufende Softwarelösung von einem "technischen Effekt" aus und gewähren für derlei "Erfindungen" gewerblichen Rechtsschutz. Kritiker schätzen die Zahl der auf diesem Schleichweg vergebenen "Softwarepatente" im weiten Sinne auf mehrere Zehntausend und pochen auf eine restriktivere Handhabe des EPÜ.

Brimelow will sich nun die "Feinheiten" der Interpretation der rechtlichen Vorgaben zur Patentvergabe im Computerbereich durch die Große Beschwerdekammer erläutern lassen. Abweichende Entscheidungen der untergeordneten Kammern hätten in der Tat Unsicherheit geschaffen, schreibt sie in ihrem Prüfauftrag (PDF-Datei). Antworten auf die aufgeworfenen Fragen seien nötig, um die "weitere, harmonische Entwicklung von Fallrecht in diesem Feld zu ermöglichen". Derzeit hätten Gerichte und die Öffentlichkeit Bedenken geäußert, dass einige Entscheidungen der Beschwerdekammern die Weite der Ausschlussklausel für Computerprogramme nicht ausreichend beachtet hätten. Das EPA müsse mit der Klärung der Grenzen auch eine führende Rolle bei der Angleichung der Praktiken nationaler Patentämter in Europa einnehmen.

Die konkreten Fragestellungen aus dem Präsidentenbüro sind komplex. So erwartet Brimelow etwa Antwort darauf, ob ein Computerprogramm nur dann von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden kann, wenn sich der Anspruch explizit auf die Software bezieht. Schließlich seien viele Anträge so gestrickt, dass sie auch auf Methoden, Systeme, computerimplementierte Verfahren oder den Speicher für Computerprogramme abstellen würden. Hier will Brimelow wissen, ob bei Anerkennung solcher Ansprüche die Ausschlussbestimmung nicht zur reinen Formalie erklärt würde.

Weiter beziehen sich die Fragen etwa darauf, ob eine Software Artikel 52 EPÜ schon damit umgehen könnte, wenn wie auf einem Computer oder einem Speichermedium laufe. Falls dies verneint würde, sei dann ein "zusätzlicher technischer Effekt" darüber hinaus erforderlich beziehungsweise ausreichend? Farbe bekennen soll die Große Beschwerdekammer ferner zu dem Punkt, ob eine beanspruchte Funktion einen technischen Effekt auf eine physikalische Einheit in der "realen Welt" auslösen müsse und ob dafür eine Wirkung auf einen unspezifischen Computer ausreiche oder sich etwas außerhalb der verwendeten speziellen Hardware abzuspielen habe. Nicht zuletzt sei darüber zu entscheiden, ob die Aktivität des Programmierens eines Computers notwendigerweise technische Erwägungen einschließe und somit alle Ergebnisse einen technischen Charakter für einen Schutzanspruch begründen könnten.

Bei der eigenen Absteckung des Rechtsrahmens verweist das Schreiben der Präsidentin einerseits auf das "Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des Geistigen Eigentums" der Welthandelsgesellschaft (TRIPS), wonach Patente auf Erfindungen "in allen Technologiefeldern" zu vergeben seien. Ein gewerblicher Rechtsschutz für Computerprogramme sei somit vorzusehen, wenn sie als technische Erfindungen zu definieren seien. Artikel 52 EPÜ legt Brimelow so aus, dass Software nur dann patentiert werden darf, wenn sie einen "technischen Charakter" aufweist. Es gebe aber noch keine verlässliche Definition dieses Ausschlusskriteriums. Weiter verweist das Papier auf die Weigerung des EU-Parlaments, eine Richtlinie über "computerimplementierte Erfindungen" zu erlassen. Dabei erwähnt es beispielhaft Änderungsanträge der Abgeordneten, wonach ein technischer Beitrag im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur bei Auswirkungen auf die physikalische Welt unter Einsatz "kontrollierbarer Naturkräfte" anerkannt werden sollte.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)