Forscher erwarten mehr Elektroschrott durch softwarebedingte Obsoleszenz

Geräte im Smart Home unterliegen mannigfachen Verschränkungen von Hard- und Software. Forscher fordern Sicherheitsupdates für mindestens 10 Jahre.

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Heutzutage greifen Hardware und Software in vielen Geräten ineinander.

(Bild: Umweltbundesamt, TU Berlin)

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Wenn bisher von "Obsoleszenz" die Rede war, dann waren meist Alterung oder Verschleiß der Hardware von Geräten gemeint, also mechanischer, elektrischer oder elektronischer Bauteile. Das Umweltbundesamt wollte nun die Software in den Vordergrund rücken und hat dazu die TU Berlin, das Öko-Institut und das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM mit einer Studie beauftragt.

Sie meinen, softwarebedingte Obsoleszenz beispielsweise von Smart-Home-Geräten könne zu einem erhöhten Aufkommen an Elektronikschrott, einem erhöhten Ressourcenverbrauch zur Herstellung von Neugeräten und zu wirtschaftlichen Belastungen für die Kundschaft führen. Dem sollte politisch entgegengesteuert werden.

Aus ihrer Studie folgern die Forscher, für mindestens zehn Jahre sollten sicherheitsrelevante Software-Updates bereitgestellt werden. Im Grunde aber sollten Geräte auch ohne externe Abhängigkeiten betrieben werden können. Außerdem sollen Schnittstellen zur Stärkung der Kompatibilität und Interoperabilität von Systemen entstehen und Hersteller die Abhängigkeiten von softwarebetriebenen Produkten und den garantierten Supportzeitrahmen verpflichtend benennen müssen. Obendrein sollten "Ökoinnovationen" wie nachhaltige Softwareentwicklung gefördert werden, meinen die Forscher.

Schließlich steige der Anteil alltäglich genutzter Geräte im Haushalt und in der Gebäudetechnik, die von Software gesteuert wird, schreiben sie in der Studie "Analyse der softwarebasierten Einflussnahme auf eine verkürzte Nutzungsdauer von Produkten" (PDF). Insbesondere bei langlebigen Produkten könne diese Obsoleszenz problematisch für die Haltbarkeit und Zuverlässigkeit der Geräte werden, denn über die Software könne Nutzungsdauer und Nutzungskomfort von Geräten definiert oder verändert werden. Konstant herausfordernd sei es, Sicherheit der Nutzung und die Kompatibilität zwischen Hardware und Software sowie zwischen Geräten untereinander zu gewährleisten.

Als ein Beispiel "starker Verschränkung von Hard- und Software" haben sich die Forscher die smarten Leuchtmittel der Signify-Marke Philips Hue herausgesucht. Zu dem eigentlichen Produktsystem Leuchtmittel, Bridge und Smartphone-App würden ein Router und ein Smartphone mit Betriebssystem vorausgesetzt. Alle diese Geräte seien dem Obsoleszenzrisiko ausgesetzt.

Sicherheitsupdates der Leuchtmittel und der neue Funkstandard Matter könnten ausschließlich über die Bridge installiert werden. Es gebe aber Hue-Leuchtmittel, die ohne Bridge betrieben werden könnten. Sicherheitsrisiken und Kompatibilitätsprobleme entstehen, wenn diese nicht zur Verfügung steht. Auch könne dann der Clouddienst nicht genutzt werden, die Funktionalität sei eingeschränkt.

"Das Produktsystem ist von externen marktbeherrschenden Plattformen und deren Standards abhängig", schreiben die Forscher. Wenn diese sich beispielsweise durch einen Markteintritt ändern, könne das Produktsystem obsoleszent werden, wie das Beispiel HomeKit zeige. Durch dessen Einführung sei die Bridge v1 veraltet.

Ähnliche Obsoleszenzrisiken sehen die Forscher auch bei den smarten Heizkörperthermostaten von Eve. Für diese würden ein mobiles Endgerät von Apple und für die Außerhaussteuerung ein Router und ein Smart-Home-Gerät von Apple benötigt. Das Gerät sei von Apple als "works with HomeKit" zertifiziert. Dafür müsse es das Programm MFI (ursprünglich "made for iPod) durchlaufen und unterliege Kriterien und Anforderungen, die Apple festlegt.

Wenn sich ein Nutzer für dieses Produktsystem entschieden habe, werde das Obsoleszenzrisiko für sein Smartphone erhöht, wenn er nicht das aktuelle iPhone besitze, heißt es in der Studie. Technisch notwendig scheint es für die Forscher nicht zu sein, dass nur die neueste iPhone-Generation unterstützt wird, allerdings könne Apple so hohe Standards an Qualität und Sicherheit durchsetzen.

In Apples App Store heißt es als Voraussetzung für die Installation der Eve App auf dem iPhone allerdings, darauf müsse iOS 16.1 oder neuer laufen. Das Öko-Institut erläuterte dazu auf Nachfrage von heise online, "in der Regel kann auf iPhones, die älter als fünf bis sechs Jahre sind, keine aktuelle Software mehr installiert werden". Die Formulierung "die neuesten iPhones" beziehe sich auf die Versionen, die Apple noch für neue Software erlaubt. Wichtig sei allgemein bei Smartphones, dass das Betriebssystem es nach ein paar Jahren sehr unbequem, risikohaft oder unmöglich mache, das Gerät noch zu benutzen.

"Man denkt immer, die Software könnte nicht verschleißen, sie rostet ja nicht, aber wenn ein Smartphone nach zwei Nutzungsjahren keinen Software-Support mehr erhält, ist das aus Engineering-Sicht eine Katastrophe. Wenn wir die Prinzipien des Ökodesigns auf die Software anwenden, könnten wir zu einer Entschleunigung und längerer Produktlebensdauer gelangen", erklärte Erik Poppe, Projektverantwortlicher an der TU Berlin. Hinzu komme, es werde üblicherweise davon ausgegangen, ein Update steigere die Nutzungsqualität. Dies könne aber potenziell zu langfristigen Verschlechterungen der Performance oder zum Verlust einzelner Funktionalitäten führen.

Die Forscher hatten zu Beginn der Studie in einer Umfrage unter tausend Menschen im Alter von 18 bis 75 Jahre herausgefunden, dass sich 60 Prozent von ihnen ein größeres Verständnis rund um konkrete Obsoleszenzrisiken von Software wünschen. 50 Fälle von Problembeschreibungen haben die Forscher nach eigenen Angaben ausgewertet. Am häufigsten seien Verbindungsprobleme berichtet worden. Als weitere Probleme wurden geschildert, dass keine Updates mehr durchgeführt werden; das Gerät unverständliche oder unerklärliche Fehlermeldungen zeigt oder auch plötzliches Ausschalten häufig vorkommt. "Zu beobachten war darüber hinaus eine hohe Emotionalität der Beiträge. Das heißt, der Ärger über ein nicht funktionierendes Gerät ist stark ausgeprägt", heißt es in der Studie.

(anw)