Künstliche Intelligenz deutet Gesichtsausdrücke und unterstützt Psychotherapie

Forscher der Universität Basel zeigen, dass ein KI-System den Gesichtsausdruck von Patienten in der Psychotherapie zuverlässig interpretiert.

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KI kann Psychotherapeuten beim Auswerten von Therapiesituationen helfen

Künstliche Intelligenz kann helfen, Bild- und Videoaufzeichnungen von Therapiesituationen durch Erkennen von Gefühlsäußerungen in der Mimik automatisiert auszuwerten.

(Bild: KI Midjourney / Bearbeitung: c’t)

Lesezeit: 4 Min.

Forscher der Fakultät für Psychologie und der Psychiatrischen Kliniken (UPK) der Universität Basel haben in einer Machbarkeitsstudie untersucht, was künstliche Intelligenz bei der Auswertung von Bild- und Videomaterial aus psychotherapeutischen Situationen leisten kann. Wie sie herausfanden, konnte ein hinreichend trainiertes bildverarbeitendes System Gefühle aufgrund von Gesichtsausdrücken verlässlich erkennen. Dasselbe System soll sogar den Therapieerfolg bei Borderline-Patienten zuverlässig voraussagen können.

Im Rahmen der psychotherapeutischen Forschung oder einer konkreten Psychotherapie ist es hilfreich, schematisch zu erfassen, wie Patienten sich über eine Zeitspanne hinweg fühlen. Bereits die Alltagserfahrung verrät, dass das Gesicht eines Menschen dessen Gefühlslage widerspiegeln kann. In den 1970er-Jahren hat der Psychologe Paul Ekmann ein standardisiertes Kodierungssystem entwickelt, um Gesichtsausdrücken Basisemotionen wie Glück, Ekel oder Trauer zuzuordnen. Seitdem hat sich Ekmanns Schematik verbreitet und gilt inzwischen als Standard in der psychologischen Emotionsforschung, wie Martin Steppan von der Fakultät für Psychologie der Universität Basel erklärt. Allerdings sei es extrem zeitaufwendig für Forscher und Therapeuten, Fotos oder Videoaufzeichnungen in größerer Menge mit eigenen Augen zu sichten, den darauf erkennbaren Gesichtsausdruck zu interpretieren und das Ganze in Datenform zu erfassen. Um emotionale Erregung über eine Zeitspanne hinweg zu erfassen, gibt es auch indirekte Methoden, die aber weitaus weniger verlässlich sind als die Interpretation des Gesichtsausdrucks. So haben sich Fachleute in der Psychiatrie oft darauf verlegt, die Veränderung des Hautwiderstands zu verfolgen, um emotionale Verläufe zu erfassen.

Durch eine Machbarkeitsstudie, die Steppan gemeinsam mit Klaus Schmeck, Ronan Zimmermann und Lukas Fürer (UPK) initiiert hat, wollten die Forscher herausfinden, ob sich KI-Systeme dazu eignen, die Gefühlslage von Patienten in Videoaufzeichnungen von Therapiesitzungen aufbauend auf Ekmanns Methode automatisiert zuverlässig zu bestimmen. Sie verwendeten frei verfügbare neuronale Netze und trainierten diese mithilfe von über 30.000 Gesichtsfotos darauf, sechs Basisemotionen zu erkennen: Glück, Überraschung, Ärger, Abscheu, Trauer und Angst. Ihre auf Hochleistungsrechnern am Center for Scientific Computing der Uni laufende KI analysierte danach Videodaten der Therapiesitzungen von insgesamt 23 Borderline-Patienten. Das dafür ausgewertete Videomaterial umfasst über 950 Stunden. Ihre Ergebnisse haben die Forscher Ende November 2023 im Fachmagazin „Psychopathology“ veröffentlicht.

Das Team verglich die von der KI vorgenommenen Zuordnungen mit einer Auswertung des gleichen Materials durch drei geschulte Therapeuten. Es erstaunte die Forscher, wie groß die Übereinstimmung war. Das automatische System hatte die Gesichtsausdrücke ebenso verlässlich beurteilt wie die menschlichen Beobachter. Anders als diese hatte die KI jedoch auch kürzeste Gefühlsregungen im Millisekundenbereich erfasst, beispielsweise ein kurzes Lächeln oder einen flüchtigen Ausdruck von Ekel. Solche „Micro Expressions“ können Therapeuten entgehen oder sie werden von ihnen nur unbewusst wahrgenommen.

Das Ergebnis der KI-Analyse erlaubte unerwartete statistische Rückschlüsse auf die Abhängigkeit unterschiedlicher Parameter von den erkannten Gefühlen. So zeigte sich, dass Patienten, die zu Beginn einer Therapiesitzung emotionale Beteiligung zeigten und lächelten, die Therapie später seltener abbrachen als solche, die sich gegenüber den Therapeuten unbeteiligt zeigten. Dieses „soziale“ Lächeln könnte Steppan zufolge als signifikantes Zeichen taugen, um den Therapieerfolg bei Personen mit Borderline-Symptomatik vorauszusagen.

Unterm Strich zeigt der Forscher sich beeindruckt: „Es hat uns doch überrascht, dass relativ einfache KI-Systeme so robust Gesichtsausdrücke auf ihre Gefühlsregungen deuten können.“ Künstliche Intelligenz könne sich damit zu einem wichtigen Hilfsmittel für Therapie und Forschung entwickeln. Wenn es darum gehe, emotional relevante Momente in bereits vorhandenen Videoaufzeichnungen aufzuspüren, sei dies mit einem KI-System viel schneller und direkter möglich als auf anderen Wegen. Auf diese Weise könnten solche Systeme nicht zuletzt die Ausbildung und Supervision von Therapeuten unterstützen. Allerdings will Steppan nicht so missverstanden werden, als wolle er Psychotherapie automatisieren und mechanisieren: „Die therapeutische Arbeit ist weiterhin in erster Linie Beziehungsarbeit und bleibt eine menschliche Domäne“, sagt er und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „Zumindest vorläufig.“ (psz)