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30 Jahre "Doom": Zur Hölle mit dir!​

Paul Kautz
Bild vom Doom-Spiel

(Bild: heise online)

Natürlich gab es auch vor dem Dezember 1993 schon richtig gute Actionspiele. Aber nach "Doom" hatte dieser Begriff eine knallharte neue Bedeutung.​

"What you got in there?" "In here? Doom!". Diese knappe Antwort aus dem Mund des jungen Pool-Spielers Vincent Lauria, dargestellt von Tom Cruise im 1986er Martin-Scorsese-Film "The Color of Money" (bei uns "Die Farbe des Geldes") war es, die "Doom" seinen Namen geben sollte. Den perfekten Namen, wohlgemerkt: kurz, prägnant, auf den Punkt, unheilschwanger.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich Ende 1993 mit meinem wackeligen BMX zu Escom geradelt bin, einer damals echt großen Kette für Computerkram. Das habe ich eigentlich jede Woche gemacht. 1993 war das Internet ja noch nicht mal ansatzweise so allgegenwärtig wie heute, und ich hatte kein Modem zuhause. Also strampelte ich halbwegs regelmäßig die knapp vier Kilometer zur nächsten Escom-Filiale, immer ein paar frisch formatierte 3.5"-Disketten im Rucksack, um mir den neuesten Kram zu saugen. Da gab es eine hochmoderne und halbwegs aktuell gehaltene Runterladstation, in die man die eigenen Disketten reinstecken musste, dann die Programme auswählte, bevor diese automatisiert draufkopiert wurden und man dann die daraus resultierende Menge an Inhalt vorn an der Kasse bezahlen musste.

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Auf diese Art und Weise habe ich damals einen Großteil meiner neuen Software bezogen. Speziell die Sharewarespiele von Apogee und Epic MegaGames habe ich geliebt: "Jill of the Jungle", "Silverball", "Commander Keen" oder das ach so böse "Wolfenstein 3D" habe ich gespielt, bis mir die langen blonden Haare auszufallen begannen. Und dann las ich von "Doom" – dem Spiel, das die virtuelle Realität zur Realität machen und absolut alles verändern sollte. Und das tat es dann auch.

"DOOM is a fast-moving virtual reality game in which you are plunged into a brutal 3-D world. To escape alive, you must outfight legions of grisly fiends and solve DOOM's lethal puzzles. You play a marine equipped with a variety of weapons and technological artifacts, but in the end it comes down to who's tougher: you or them." – so die offizielle Selbstbeschreibung in der Identifikationsdatei "FILE_ID.DIZ" [2], die die der Sharewarefassung von "Doom" [3] beilag. Denn "Doom" stand (vorerst) nicht im Spieleladen um die Ecke, sondern wurde, wie auch die anderen Spiele von id Software zuvor, als Shareware vertrieben.

Wer sich an dieses Konzept nicht mehr zurückerinnert: Shareware bedeutete im Gaming-Bereich, dass ein Teil des vollständigen Spiels, in aller Regel ein Drittel, einfach verschenkt wurde – das Kopieren dieser Version wurde nicht nur nicht untersagt, sondern im Gegenteil explizit erwünscht. Wer nach dieser umfangreichen Kostprobe mehr wollte, musste dann zum günstigen Preis die Vollversion kaufen, was in den frühen 90ern meist bei einem der zwei großen Shareware-Vertriebe passierte: Apogee (die das Sharewaremodell für Spiele erfunden hatten) oder Epic MegaGames. Die "Doom"-Entwickler von id Software hatten zuvor für den Vertrieb von "Commander Keen" und "Wolfenstein 3D" sehr erfolgreich mit Apogee zusammengearbeitet, wollten dieses Mal aber den Kuchen ganz für sich allein haben und kümmerten sich folgerichtig komplett selbst um alles, was mit dem neuen Spiel zu tun hatte.

Ursprünglich sollte "Doom" gar nicht "Doom" sein, sondern eher "Aliens: Der Shooter". Die ursprüngliche Idee war nämlich, eine offizielle Ballerei zum actionlastigen zweiten "Alien"-Film (1986) zu erschaffen. Die Verhandlungen mit den Rechteinhabern von 20th Century Fox liefen wohl schon gut, aber in letzter Minute zog sich id Software wieder zurück – man wollte sich lieber doch nicht an eine Lizenz binden und damit die kreative Kontrolle über das Spiel aufgeben.

"Doom" wird 30 Jahre alt (0 Bilder) [4]

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Und kreative Kontrolle war dem kleinen Team um die John-Doppelspitze Carmack und Romero wichtiger als alles andere. Was man nicht zuletzt daran sieht, dass praktisch alle ursprünglichen Designideen, die vom damaligen Lead Designer Tom Hall in der sogenannten "Doom Bible" [6] ausgearbeitet wurden, schlussendlich aus dem Fenster flogen: Eine ausgefeilte Handlung, mehrere spielbare Figuren, deutlich mehr Lokalitäten oder erhöhte Interaktion mit der Umgebung – all das klang auf dem Papier toll, stand dem rasanten Arcade-Actionspaß, den Carmack und Romero im Sinn hatten, letzten Endes aber nur im Weg. Kreative Differenzen führten schließlich zum Rauswurf von Hall (der einen Teil seiner Vision dann später in "Rise of the Triad" bei Apogee verwirklichen konnte) und einer Entschlackung des "Doom"-Spielprinzips auf das absolute Minimum: Lebenssystem, Punktezählung, mehr als ein Bildschirm Story pro Episode, komplexes HUD oder eine Hubwelt, über die man alle Levels erreichen konnte, all das flog gnadenlos raus. Der namenlose "Doom"-Held sollte sich nicht mit Kollegen unterhalten, ducken, springen oder Puzzles lösen können, sondern nur echt gut schießen. Schnell, brutal und krachend sollte "Doom" sein – schneller, brutaler und krachender als alles andere auf dem Markt. Der Rest war egal.

Gegen Mitternacht des 10. Dezember 1993 ging die Sharewareversion 0.99 von "Doom" mit der kompletten ersten Episode "Knee-Deep in the Dead" über den FTP der University of Wisconsin–Madison schließlich online – und brachte ihn auch gleich direkt zum Absturz, da er dem Ansturm der gierigen Fans nicht gewachsen war. Die Vollversion, die die beiden weiteren Kapitel "The Shores of Hell" und "Inferno" enthielt – mit insgesamt 18 weiteren Levels, vier zusätzlichen Gegnern und zwei Extrawaffen – durfte direkt bei id Software bestellt werden, zum Preis von 40 US-Dollar. In Deutschland kümmerte sich CDV ab dem März 1994 um den Vertrieb der Ladenversion, zur unverbindlichen Preisempfehlung von 79 DM.

Ein Volltreffer zerlegt das Gegenüber in roten Pixelmatsch. Sieht heute vor allem grob aus, sorgte damals aber für Schnappatmung und Protestbriefe.

(Bild: heise online)

Aber auch schon die kostenlose Shareware-Version machte überdeutlich, was einen hier für ein Paradigmenwechsel erwartete. John Carmacks brillante 3D-Engine lieferte Bilder, die nicht nur sehr viel besser aussahen als noch in "Wolfenstein 3D", sondern auch die komplette Konkurrenz weit, weit hinter sich ließen. Denn hier gab es Höhenunterschiede, volltexturierte Levels mit schrägen Elementen, unterschiedliche Lichtverhältnisse, animierte Texturen, Abschnitte unter freiem Himmel, eine komplett wahnwitzige Geschwindigkeit. Damals war das Gezeigte schier unglaublich: "Die technische Umsetzung setzt neue Maßstäbe" hieß es im Test der PC Games 3/94. Oder "An der genialen Optik dieses Action-Knallers müssen sich künftige Spielegenerationen messen" in der zeitgleich erschienenen Power Play.

Inhaltlich wurden deutlich kleinere Brötchen gebacken. John Carmack hat zur "Doom"-Entwicklung berühmterweise mal den folgenden Satz gesagt: "Eine Handlung in einem Spiel ist wie die Handlung in einem Porno. Es wird erwartet, dass sie da ist, aber sie ist echt nicht so wichtig." Folgerichtig wird der Story in "Doom" immer genau eine Seite gegönnt: Eine Seite im Handbuch, eine Bildschirmseite pro abgeschlossenem Kapitel. Reicht ja auch. Höllenbrut = böse, du = gut bewaffnet.

Und auch das Spielprinzip machte kein Geheimnis daraus, dass es niemals mehr sein wollte als ein die niedrigsten Instinkte ansprechendes Ballerfest: Es geht immer nur darum, das Ende jedes der 27 Levels zu erreichen, alle dafür benötigten Schlüsselkarten aufzusammeln und alle im Weg stehenden Gegner in eine Ansammlung dunkelroter Bröckchen zu verwandeln. Egal, ob "Imp", "Baron of Hell", "Cacodemon" oder "Cyberdemon", sie alle fallen früher oder später. Und zwar dank Schrotgewehr, Raketenwerfer, Plasmakanone, der bekannten Kettensäge oder der Waffe mit dem nachweislich besten Namen aller Zeiten: der "BFG 9000" – der "Big Fucking Gun".

"Doom" war auch neben der Grafik und der für damalige Zeiten erschreckenden Bildschirmbrutalität auch in anderer Hinsicht ein bemerkenswerter Innovator. Zum einen verdanken wir dem Spiel die heutige Multiplayer-Kultur. Es gab natürlich auch bereits vor "Doom" Spiele, in denen man über das Netzwerk gegeneinander antreten durfte, wie zum Beispiel das 1987er "Midi Maze [7]". Aber "Doom" erschuf das "Deathmatch", das Raketenwerfer- oder Schrotgewehr-basierte Gegeneinander, das seit damals Teil praktisch jedes Actionspiels ist. Ironischerweise fand dieser Modus erst spät seinen Weg ins Spiel – er wurde zwar in der ersten Pressemitteilung bereits überdeutlich hervorgehoben ("In 1993, we fully expect to be the number one cause of decreased productivity in businesses around the world." [8]), dann aber erst etwa einen Monat vor der Veröffentlichung der Shareware-Fassung tatsächlich implementiert.

"Doom-Klon" wurde Mitte der 90er zum stehenden Begriff, und erst gegen Ende des Jahrzehnts durch "Ego-Shooter" bzw. "First-Person Shooter" ersetzt.

(Bild: heise online)

Zum anderen war "Doom" direkt verantwortlich für die heutige Modding-Szene: Schon der Vorgänger "Wolfenstein 3D" wurde von Fans umgebaut, und das, obwohl das Spiel gar nicht darauf ausgelegt war. John Carmack, großer Verfechter offener Software, sah das, war beeindruckt, und gestaltete das Datenformat von "Doom" ("WAD", was für "Where’s All the Data?" steht) mit voller Absicht modular. Resultat: Wie beim "SCUMM"-System von Lucasfilm Games war auch bei "Doom" die Engine von den Spielinhalten getrennt, wodurch Letztere problemlos verändert werden konnten. In ihrer Komplettheit, wohlgemerkt, was sehr schnell nicht nur zu abertausenden Fan-Levels führte, sondern auch zu sogenannten "Total Conversions" – Modifikationen, die ein Spiel von Grund auf umbauen. Was sehr schnell zu "Aliens"-Mods führte, zu "Star Trek", "Star Wars", "South Park", "The Simpsons" oder "The Terminator". Wenn es in der Popkultur existierte, dann gab es eine "Doom"-Mod dazu.

Die damalige Spielepresse war vom "Doom" komplett begeistert: 95% in der PC Games [9] ("Ein besseres Actionspiel wurde auf IBM-kompatiblen bis heute noch nicht gesehen…") und 87% in der Power Play [10] ("Doom ist derzeit das beste Actionspiel, das es für PCs gibt!") sprechen eine deutliche Sprache. Natürlich hatten wir damals noch das Problem, dass in Deutschland alles wegindiziert wurde, das auch nur einen roten Pixel enthielt. Folgerichtig verschwand "Doom" ab dem 31. Mai 1994 aus den Händlerregalen, unter anderem mit der folgenden Begründung: "Wesentlicher Inhalt des Spiels ist die bedenkenlose, realistisch inszenierte Tötung der Gegner. […] Ein erfolgreiches Durchspielen wird einzig durch die Liquidation zahlreicher Gegner gewährleistet; die Tötungshandlungen werden mit blutig zerfetzten gegnerischen Körpern aufwendig dargestellt und akustisch untermalt." – ein Zustand, der sich erst ab dem 31. August 2011 wieder ändern sollte [11], auf Antrag von Bethesda Softworks, zwischenzeitlich zum Mutterunternehmen von id Software aufgestiegen.

Auch international sorgte das Spiel für alle möglichen Kontroversen: Eric Harris und Dylan Klebold, die 1999er-Amokläufer an der Columbine High School, waren riesige "Doom"-Fans und wollten ihr Massaker wie eine Ballerrunde gestalten. Die satanische Ikonographie sorgte für erbitterten Protest vieler religiöser Gruppen. Und natürlich konnten die Entwickler nicht davon lassen, einen Verweis auf "Wolfenstein 3D" einzubauen: Auf der Karte "E1M4: Command Control" [12] war ein Teil des Levels mit voller Absicht in Form eines Hakenkreuzes aufgebaut, das in späteren Veröffentlichungen dann leicht abgeändert wurde.

All das änderte aber nichts am Erfolg des Spiels und seinen noch bis heute spürbaren Auswirkungen: "Doom" machte all seine Beteiligten sehr reich, und id Software auf Jahre hinaus zu einem der wichtigsten Namen im Bereich der Ego-Shooter. Es erschuf das Konzept der Engine-Lizenzierung, hatte Auftritte in spektakulär erfolgreichen Fernsehserien wie "E.R." [13] und "Friends" [14], es erhielt öffentliche Lobpreisungen von hochkarätigen Zeitgenossen wie Terry Pratchett oder Brian May – und es schaffte das Kunststück, Bill Gates mit einer Pumpgun in der Hand [15] vor die Kamera zu zerren, um Werbung für Windows 95 zu machen. Es erhielt diverse Nachfolger, es gibt Bücher, Brettspiele und mehrere Filme. Und noch bis heute werden neue Mods für "Doom" entwickelt – wie zuletzt erst "Sigil" von John Romero höchstpersönlich [16], der gerade am Nachfolger arbeitet, oder das höchst erfolgreiche "MyHouse.wad" [17].

"Over the centuries, mankind has tried many ways of combating the forces of evil... prayer, fasting, good works and so on. Up until 'Doom', no one seemed to have thought about the double-barrel shotgun." Terry Pratchett

(Bild: heise online)

1997 wurde der Sourcecode von "Doom" ganz offiziell an die Öffentlichkeit freigegeben, was nicht nur dafür sorgte, dass das Spiel noch bis heute zuverlässig auf jede Plattform portiert wird, die irgendwie mit Nullen und Einsen umgehen kann [18], sondern auch jedes andere System damit beglückt wird, das nicht gerade ein Ziegelstein ist: Rund um die Frage "Can it run Doom" hat sich eine beeindruckend enthusiastische Community gebildet, die sie so oft und so abgefahren wie möglich mit "JA!" beantworten möchte. Was dafür sorgte, dass das Spiel mittlerweile in mehr oder weniger wiedererkennbarer Form auf Geldautomaten, dem Touch Bar eines MacBook Pro, grafischen Taschenrechnern, einem Laufband oder gar dem Display eines digitalen Schwangerschaftstests [19] funktioniert.

Anders ausgedrückt: "Doom" ist ein unverrückbarer Teil der Popkultur, ein Titel, der die Spielewelt für immer verändert hat. Natürlich nicht nur zum Besseren – aber welche derart tiefschürfende Veränderung hat das schon jemals? Spielt man es heute nochmal, dann stellt man schnell fest, dass das Spiel trotz seiner mittlerweile fraglos simplen Inszenierung immer noch ganz hervorragend funktioniert. "Doom" ist einer der wichtigsten Meilenstein-Titel aller Zeiten, über den wir auch in weiteren 30 Jahren noch andächtig sprechen werden.

(dahe [20])


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[1] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/FILE_ID.DIZ
[3] https://www.classicdosgames.com/game/Doom.html
[4] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_9566336.html?back=9566275;back=9566275
[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_9566336.html?back=9566275;back=9566275
[6] https://doom.fandom.com/wiki/Doom_Bible
[7] https://en.wikipedia.org/wiki/MIDI_Maze
[8] https://tcrf.net/Prerelease:Doom_(PC,_1993)#Press_Release
[9] https://www.kultboy.com/index.php?site=t&id=22345
[10] https://www.kultboy.com/index.php?site=t&id=4026
[11] https://www.bzkj.de/bzkj/service/publikationen/bzkj-aktuell/-doom-aus-der-liste-der-jugendgefaehrdenden-medien-gestrichen-175300
[12] https://doom.fandom.com/wiki/E1M4:_Command_Control_(Doom)
[13] https://www.youtube.com/watch?v=e5oRIToWkRA
[14] https://www.youtube.com/watch?v=AXb0VxQ8Ltg
[15] https://youtu.be/KN0K58EfJSg?t=14
[16] https://www.heise.de/news/Fuenftes-Doom-Kapitel-John-Romero-veroeffentlicht-seine-Doom-Mod-4436796.html
[17] https://www.doomworld.com/forum/topic/134292-myhousewad/
[18] https://www.heise.de/news/Doom-im-Teletext-Bastler-veroeffentlicht-Code-auf-Github-9062818.html
[19] https://twitter.com/Foone/status/1302820468819288066
[20] mailto:dahe@heise.de