30 Jahre "Doom": Zur Hölle mit dir!​

Natürlich gab es auch vor dem Dezember 1993 schon richtig gute Actionspiele. Aber nach "Doom" hatte dieser Begriff eine knallharte neue Bedeutung.​

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Bild vom Doom-Spiel

(Bild: heise online)

Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Paul Kautz
Inhaltsverzeichnis

"What you got in there?" "In here? Doom!". Diese knappe Antwort aus dem Mund des jungen Pool-Spielers Vincent Lauria, dargestellt von Tom Cruise im 1986er Martin-Scorsese-Film "The Color of Money" (bei uns "Die Farbe des Geldes") war es, die "Doom" seinen Namen geben sollte. Den perfekten Namen, wohlgemerkt: kurz, prägnant, auf den Punkt, unheilschwanger.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich Ende 1993 mit meinem wackeligen BMX zu Escom geradelt bin, einer damals echt großen Kette für Computerkram. Das habe ich eigentlich jede Woche gemacht. 1993 war das Internet ja noch nicht mal ansatzweise so allgegenwärtig wie heute, und ich hatte kein Modem zuhause. Also strampelte ich halbwegs regelmäßig die knapp vier Kilometer zur nächsten Escom-Filiale, immer ein paar frisch formatierte 3.5"-Disketten im Rucksack, um mir den neuesten Kram zu saugen. Da gab es eine hochmoderne und halbwegs aktuell gehaltene Runterladstation, in die man die eigenen Disketten reinstecken musste, dann die Programme auswählte, bevor diese automatisiert draufkopiert wurden und man dann die daraus resultierende Menge an Inhalt vorn an der Kasse bezahlen musste.

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Auf diese Art und Weise habe ich damals einen Großteil meiner neuen Software bezogen. Speziell die Sharewarespiele von Apogee und Epic MegaGames habe ich geliebt: "Jill of the Jungle", "Silverball", "Commander Keen" oder das ach so böse "Wolfenstein 3D" habe ich gespielt, bis mir die langen blonden Haare auszufallen begannen. Und dann las ich von "Doom" – dem Spiel, das die virtuelle Realität zur Realität machen und absolut alles verändern sollte. Und das tat es dann auch.

"DOOM is a fast-moving virtual reality game in which you are plunged into a brutal 3-D world. To escape alive, you must outfight legions of grisly fiends and solve DOOM's lethal puzzles. You play a marine equipped with a variety of weapons and technological artifacts, but in the end it comes down to who's tougher: you or them." – so die offizielle Selbstbeschreibung in der Identifikationsdatei "FILE_ID.DIZ", die die der Sharewarefassung von "Doom" beilag. Denn "Doom" stand (vorerst) nicht im Spieleladen um die Ecke, sondern wurde, wie auch die anderen Spiele von id Software zuvor, als Shareware vertrieben.

Wer sich an dieses Konzept nicht mehr zurückerinnert: Shareware bedeutete im Gaming-Bereich, dass ein Teil des vollständigen Spiels, in aller Regel ein Drittel, einfach verschenkt wurde – das Kopieren dieser Version wurde nicht nur nicht untersagt, sondern im Gegenteil explizit erwünscht. Wer nach dieser umfangreichen Kostprobe mehr wollte, musste dann zum günstigen Preis die Vollversion kaufen, was in den frühen 90ern meist bei einem der zwei großen Shareware-Vertriebe passierte: Apogee (die das Sharewaremodell für Spiele erfunden hatten) oder Epic MegaGames. Die "Doom"-Entwickler von id Software hatten zuvor für den Vertrieb von "Commander Keen" und "Wolfenstein 3D" sehr erfolgreich mit Apogee zusammengearbeitet, wollten dieses Mal aber den Kuchen ganz für sich allein haben und kümmerten sich folgerichtig komplett selbst um alles, was mit dem neuen Spiel zu tun hatte.

Ursprünglich sollte "Doom" gar nicht "Doom" sein, sondern eher "Aliens: Der Shooter". Die ursprüngliche Idee war nämlich, eine offizielle Ballerei zum actionlastigen zweiten "Alien"-Film (1986) zu erschaffen. Die Verhandlungen mit den Rechteinhabern von 20th Century Fox liefen wohl schon gut, aber in letzter Minute zog sich id Software wieder zurück – man wollte sich lieber doch nicht an eine Lizenz binden und damit die kreative Kontrolle über das Spiel aufgeben.

"Doom" wird 30 Jahre alt (13 Bilder)

Das Gebrüll der beiden "Barons of Hell", die einen am Ende des ersten Kapitels erwarten, vergisst man nie.
(Bild: heise online)

Und kreative Kontrolle war dem kleinen Team um die John-Doppelspitze Carmack und Romero wichtiger als alles andere. Was man nicht zuletzt daran sieht, dass praktisch alle ursprünglichen Designideen, die vom damaligen Lead Designer Tom Hall in der sogenannten "Doom Bible" ausgearbeitet wurden, schlussendlich aus dem Fenster flogen: Eine ausgefeilte Handlung, mehrere spielbare Figuren, deutlich mehr Lokalitäten oder erhöhte Interaktion mit der Umgebung – all das klang auf dem Papier toll, stand dem rasanten Arcade-Actionspaß, den Carmack und Romero im Sinn hatten, letzten Endes aber nur im Weg. Kreative Differenzen führten schließlich zum Rauswurf von Hall (der einen Teil seiner Vision dann später in "Rise of the Triad" bei Apogee verwirklichen konnte) und einer Entschlackung des "Doom"-Spielprinzips auf das absolute Minimum: Lebenssystem, Punktezählung, mehr als ein Bildschirm Story pro Episode, komplexes HUD oder eine Hubwelt, über die man alle Levels erreichen konnte, all das flog gnadenlos raus. Der namenlose "Doom"-Held sollte sich nicht mit Kollegen unterhalten, ducken, springen oder Puzzles lösen können, sondern nur echt gut schießen. Schnell, brutal und krachend sollte "Doom" sein – schneller, brutaler und krachender als alles andere auf dem Markt. Der Rest war egal.

Gegen Mitternacht des 10. Dezember 1993 ging die Sharewareversion 0.99 von "Doom" mit der kompletten ersten Episode "Knee-Deep in the Dead" über den FTP der University of Wisconsin–Madison schließlich online – und brachte ihn auch gleich direkt zum Absturz, da er dem Ansturm der gierigen Fans nicht gewachsen war. Die Vollversion, die die beiden weiteren Kapitel "The Shores of Hell" und "Inferno" enthielt – mit insgesamt 18 weiteren Levels, vier zusätzlichen Gegnern und zwei Extrawaffen – durfte direkt bei id Software bestellt werden, zum Preis von 40 US-Dollar. In Deutschland kümmerte sich CDV ab dem März 1994 um den Vertrieb der Ladenversion, zur unverbindlichen Preisempfehlung von 79 DM.

Ein Volltreffer zerlegt das Gegenüber in roten Pixelmatsch. Sieht heute vor allem grob aus, sorgte damals aber für Schnappatmung und Protestbriefe.

(Bild: heise online)

Aber auch schon die kostenlose Shareware-Version machte überdeutlich, was einen hier für ein Paradigmenwechsel erwartete. John Carmacks brillante 3D-Engine lieferte Bilder, die nicht nur sehr viel besser aussahen als noch in "Wolfenstein 3D", sondern auch die komplette Konkurrenz weit, weit hinter sich ließen. Denn hier gab es Höhenunterschiede, volltexturierte Levels mit schrägen Elementen, unterschiedliche Lichtverhältnisse, animierte Texturen, Abschnitte unter freiem Himmel, eine komplett wahnwitzige Geschwindigkeit. Damals war das Gezeigte schier unglaublich: "Die technische Umsetzung setzt neue Maßstäbe" hieß es im Test der PC Games 3/94. Oder "An der genialen Optik dieses Action-Knallers müssen sich künftige Spielegenerationen messen" in der zeitgleich erschienenen Power Play.