China: Wie gesperrte WeChat-Nutzer um Verzeihung betteln

Seite 3: Nur roboterhafte Antworten vom Tencent-Kundendienst

Inhaltsverzeichnis

Einige der Nutzer wussten oder vermuteten jedoch, dass die Sperrung ihres Kontos durch das Posten politisch sensibler Inhalte ausgelöst wurde. "Ich habe die Telefonnummer des Kundendienstes angerufen, aber man hat mir nicht gesagt, was gegen die Regeln verstoßen hat. Nachdem ich selbst überprüft hatte, fand ich heraus, dass es daran lag, dass ich unzulässige Fotos gepostet hatte", heißt es in einem der Beiträge auf Weibo.

Andere waren sich weniger im Klaren über ihre vermeintlichen Fehler. Dennoch waren sie bereit, Schuld einzugestehen. "Ich persönlich glaube nicht, dass ich irgendwelche schädlichen Informationen verschickt habe, aber wenn es wirklich so war, dann tut es mir sehr leid und ich werde in Zukunft mit meinen Worten und Handlungen vorsichtig sein", heißt es in einem anderen.

Nicht alle Personen, die unter diesen Hashtags gepostet haben, wurden wegen politischer Zensur gesperrt. Einige sagen, sie hätten zu viele Leute zugespammt oder für gefälschte Produkte geworben; andere hatten keine Ahnung, was passiert war.

Den meisten Beiträgen ist jedoch ein Gefühl der Verzweiflung gemein. WeChat wird mittlerweile in fast allen Lebensbereichen genutzt. Daher kann es verheerend sein, wenn das eigene Hauptkonto gesperrt wird. In den Weibo-Beiträgen wird beschrieben, wie die Sperrung ihrer WeChat-Konten es den Betroffenen erschwert, Nachrichten von Kollegen, potenziellen Arbeitgebern oder Familienmitgliedern zu erhalten. Einige schreiben, dass sie nun am Rande einer Depression stehen.

In der Zwischenzeit haben die Weibo-Konten des Tencent-Kundendienstes nur roboterhafte Antworten unter diesen Beiträgen gepostet und die Nutzer gebeten, weitere Informationen zu liefern. Zwei Weibo-Nutzer erklärten gegenüber MIT Technology Review, dass das Posten unter dem Hashtag ihrem Beschwerdeverfahren nicht im Geringsten geholfen habe.

Wenn man von WeChat ausgeschlossen wird, wird man zu einem Geist auf der allgegenwärtigen Plattform. "Nachdem man WeChat verloren hat, fühlt es sich an, als hätte man die Verbindung zur Welt verloren", sagt Chen. "Man kann sich zwar immer noch in sein WeChat-Konto einloggen, die Nachrichten anderer Nutzer und die Gruppennachrichten lesen und digitale Zahlungen vornehmen, aber man kann nicht mit ihnen interagieren oder auf sie antworten."

WeChat erlaubt es gesperrten Nutzern seit 2020, ihre Kontakte zu exportieren. Wenn sie also ein neues Konto registrieren und neu anfangen, können sie ihre Freunde nach und nach wieder hinzufügen. Für die meisten WeChat-Nutzer, die die App seit mehr als einem Jahrzehnt nutzen, bedeutet dies jedoch, dass sie Tausende von Kontakten manuell hinzufügen und ihnen erklären müssen, was sie getan haben, um die Sperre auszulösen.

Chen nutzte sein altes Konto 11 Jahre lang und hatte über 1.400 Kontakte. Es dauerte mehrere Stunden, bis er 500 Kontakte von seinem Backup-Konto wieder hinzugefügt hatte. "Als ich die Kontakte wieder hinzufügte, wurde ich gefragt, ob ich ein Betrüger sei, und die Person rief mich zur Bestätigung an. Wenn ich die Nummer dieser Person oder andere Bestätigungsmethoden nicht habe, wird sie sich vielleicht sofort weigern, sich mit mir anzufreunden", sagt Chen. Und dann sind da noch die Abonnements, die mit Lesezeichen versehenen Inhalte, die öffentlichen Konten, denen er folgt, und alle anderen Informationen, die mit seinem WeChat-Konto verbunden sind. Auch das alles muss er migrieren.

Am Freitag, nachdem die Diskussion über den Protest abgeebbt war, entdeckten viele WeChat-Nutzer, wer von ihren Freunden gesperrt wurde. Andere WeChat-Nutzer halfen wiederum ihren Freunden, ihre neuen WeChat-Handles zu verbreiten. Ein Artikel aus dem Jahr 2020, der eine hilfreiche Checkliste darüber enthielt, was zu tun ist, wenn man von WeChat gesperrt wurde, wurde über Nacht mindestens 70.000 Mal aufgerufen.

Die Nachricht von den Sperrungen hatte offensichtlich auch eine abschreckende Wirkung. Denn die Menschen wägten ab, ob sie über den Protest sprechen und damit mit einer Konto-Sperrung rechnen sollten. Indem sie den Zugang der Menschen zu digitalen Diensten als Geisel nahm, konnte die Regierung die Verbreitung von Informationen behindern und ihre Kontrolle verstärken.

Nicht jeder ist bereit, eine Geisel zu werden. Tina hat zwar von den Beiträgen auf Weibo gehört, in denen Tencent um Hilfe gebeten wird. Aber das möchte sie nicht tun. Sie ist sich der Schwere der politischen Zensur bewusst und glaubt nicht, dass das Posten helfen wird.

Bisher hat sie nur ihren engen Kontakten von den Geschehnissen erzählt und will versuchen, ihr Leben zumindest für eine Weile ohne ein WeChat-Konto zu führen. Sie hatte ohnehin schon immer das Gefühl, dass sie zu viel Zeit mit Social-Media-Apps verbringt; vielleicht könnte dieser erzwungene Ausstieg eine Entgiftungserfahrung sein.

"Gestern haben viele Leute ihre zweiten Konten registriert. Aber ich habe ihnen gesagt, dass ich das nicht tun werde. Ich will es erst einmal ausprobieren. Wenn ich, sagen wir mal, mein Leben auch ohne WeChat normal leben kann, kann ich mich wohl dafür entscheiden, kein weiteres Konto zu registrieren", sagt sie. "Ich glaube nicht, dass eine Person so eng mit [WeChat] verbunden sein sollte."

(jle)