Fleisch klebt fest: "Seltsam, dass dieses Phänomen erst jetzt entdeckt wurde"

Hydrogele und Gewebe sind mit elektrischer Hilfe dauerhaft an festen Oberflächen ankleb- und ablösbar. Das könnte für Robotik und Medizin hilfreich sein.

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Zwei Bilder: links klebt an einem kleinen Stück Metal etwas Hüherfleisch, rechts klebt an einem Metallstück ein rechteckiges Stück Tomate

(Bild: Srinivasa R. Raghavan/ACS Nano.)

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In vielen Laboren sind Lebensmittel tabu, nicht allerdings im Reich von Srinivasa Raghavan an der University of Maryland, USA. Dort testete sein Team kürzlich, wie gut Hühnerfleisch, Blaubeeren und Bananen an Elektroden aus Metallen oder Graphit haften, wenn sie zuvor kurzzeitig einem elektrischen Feld ausgesetzt wurden. Auch Proben künstlicher und natürlicher Hydrogele, etwa aus Gelatine und Alginaten, wurden geprüft. Es ging, kurz gesagt, darum, weiche Materialien mit einem hohen Wassergehalt an feste Oberflächen zu binden.

Vom Ergebnis waren die Forschenden selber überrascht. Nicht nur dass die Klebeversuche für zahlreiche Kombinationen erfolgreich waren. Der Effekt ließ sich mit einer entgegengesetzt gepolten Spannung auch wieder umkehren. Die Verbindungen hielten mindestens Monate – "sie halten bis heute", heißt es in der Studie – und sie waren wasserfest. Die Erkenntnisse aus den Tests, die das Team kürzlich im Fachblatt ACS Central Science veröffentlichte, könnten künftig für die Robotik, die Medizin und als neuartiger Batterietyp genutzt werden.

"Es ist seltsam, dass dieses relativ einfache Phänomen erst jetzt entdeckt wurde", sagt Raghavan. Bisher hätte es offenbar niemand systematisch untersucht. In seinem Team seien die Versuche allerdings ein weiterer logischer Schritt gewesen. "Wir arbeiten schon lange mit Gelen und Elektrizität", so der Forscher. Unter anderem habe sein Team entdeckt, dass Hydrogele mit elektrischer Hilfe an biologischem Gewebe haften bleiben. Die Entdeckung könnte in Zukunft zu Gelpflastern führen, die bei der Wundheilung helfen, wie die Forschenden 2021 im Magazin Nature berichteten.

Für ihre neuen Experimente hatten die Forschenden Proben wasserreicher Materialien zwischen zwei Platten aus Metallen oder Graphit geklemmt und eine Spannung angelegt. Als Testkörper dienten unter anderem Hydrogele, geschälte Bananen, Äpfel und Weintrauben sowie Gewebeproben von Hühnern, Schweinen und Rindern. Die Forschenden testeten zudem mehrere Metalle und sie beobachteten, wie sich unterschiedliche Spannungen und Elektrisierungszeiten auswirkten.

Eine zylinderförmige Hydrogelprobe auf Acrylamidbasis etwa – Höhe fünf Zentimeter, Durchmesser zwei Zentimeter, Gewicht 30 Gramm – haftete schon nach drei Minuten bei fünf Volt Gleichspannung fest am Pluspol aus Graphit. Die Bindung war so stark, dass das Gel beim Versuch, sie zu trennen, zerrissen wurde. Wurde eine Spannung mit umgekehrten Vorzeichen angelegt, löste sich die Verbindung hingegen zerstörungsfrei. Ohne weitere Eingriffe blieb der Klebeeffekt der Proben über Monate bestehen. Das Material dürfe nur nicht austrocknen, heißt es in der Studie. An der Luft schrumpfe es sonst und die Verbindung löse sich.

Bei den Experimenten fand das Team einige allgemeingültige Zusammenhänge. "Die Adhäsionskraft steigt mit zunehmender Spannung, mit der Zeit im elektrischen Feld und der ionischen Leitfähigkeit des Gels", berichtet es. Letztere lasse sich etwa durch Salzzugabe steigern. Salze bestehen aus entgegen gesetzt geladenen Ionen und damit aus Ladungsträgern – das als Kochsalz bekannte Natriumchlorid etwa aus positiv-geladenen Natrium- und negativ-geladenen Chloridionen.

Keinen pauschalen Befund gab es hingegen dazu, ob und wenn ja, an welcher Elektrode welches weiche, wasserreiche Material kleben bleibt. Während etwa Tomate, Rind- und Hühnerfleisch nach dem Elektrisieren am Pluspol kleben blieben, hafteten Apfel und Schwein am Minuspol. Banane, Zwiebel und Kartoffel wiederum klebten an beiden Elektroden fest, ebenso ein Gel aus Gelatine. Diese Verbindungen ließen sich dann auch durch eine Spannungsumkehr nicht mehr lösen. Bei anderen Testmaterialien trat der Klebeeffekt wiederum gar nicht auf, bei Weinrauben beispielsweise, Blaubeeren, oder Gurke. Die Forschenden vermuten einen zu geringen Salzgehalt und damit zu wenige elektrisch leitfähige Ionen als Grund dafür.

Auch bei den Metallen gab es Unterschiede. Kupfer, Blei und Zinn zum Beispiel klebten nach dem Anlegen einer Gleichspannung mit dem Gel auf Acrylamidbasis zusammen, Nickel, Eisen, Zink und Titan hingegen nicht. Dieses Phänomen müsse mit elektrochemischen Prozessen an den Grenzflächen zu tun haben, schreiben die Forschenden. Die Metalle mit dem Hafteffekt seien edler als die anderen und gäben nicht so leicht Elektronen ab. Die angelegte Spannung wirkt dann vor allem oxidierend auf das Gel, was wiederum die Klebewirkung ausmacht, so die Hypothese der Forschenden.

Das Phänomen der sogenannten Elektroadhäsion an sich ist nicht neu. Um 1920 berichteten die dänischen Ingenieure Frederik Alfred Johnsen und Knud Rahbek, dass manche porösen Materialien durch elektrische Polarisation an Metallen haften. Für ihre Experimente setzten sie hohe elektrische Spannungen ein. Dadurch luden sich die Materialien an den Grenzflächen entgegengesetzt elektrisch auf und hingen dann wie Nord- und Südpol eines Magneten zusammen hingen. Allerdings erlischt diese elektrostatische Anziehungskraft, sobald die Elektrizität ausgeschaltet wird.

In jüngster Zeit ist es zwar bereits gelungen, durch Elektrisierung eine dauerhafte Haftung zwischen Glas und Hyrogel zu erreichen, allerdings nur bei einer sehr speziellen Materialkombination, wie Raghavans Team in der Studie anmerkt. Der neu entdeckte Effekt ist zwar auch nicht universell, bietet aber bereits eine bunte Palette an Einsatzmöglichkeiten.

Für einige Anwendungen hat die Gruppe bereits Prototypen gebaut: eine Art Elektrogreifer, der ein Gel auf Knopfdruck anhebt, absetzt und wieder loslässt, ein Soft-Robotik-System mit Gel-"Muskeln" zwischen zwei Metallplatten und einen Prototypen für eine Gel-Batterie mit Kupfer als Plus-, Zink als Minuspol und zwei verschiedenen Gelen dazwischen. Der womöglich wichtigste Anwendungsfall sei jedoch die Medizin, sagt Raghavan. Metallimplantate, so seine Hoffnung, könnten durch den neuen Klebeeffekt in Zukunft noch besser im Gewebe verankert werden.

(anh)