30 Jahre "Beneath A Steel Sky": Big LINC is watching you!

Vor 30 Jahren legte sich ein kleines britisches Entwicklungsstudio mit den Schwergewichten der Point-n-Click-Branche an. Mit erstaunlichen Resultaten!

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(Bild: Revolution Software)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Paul Kautz
Inhaltsverzeichnis

Die frühen 90er waren die goldenen Jahre der Point-n-Click-Abenteuer. All die Großtaten, von denen man immer verzückt schwärmt, wenn man an das Genre denkt, die Monkey Islands, die Day of the Tentacles und die Simon the Sorcerers dieser Welt, die erschienen alle in der kurzen Zeit zwischen 1990 und 1995. Die meisten davon waren eher leichtherzig gehalten – aber es gab auch welche wie das 1994er "Beneath A Steel Sky" vom Außenseiter-Studio Revolution Software, die sich bei all der Klickerei auch mal an etwas anspruchsvollere Themen wagten.

Es gibt da diese eine Szene relativ nah am Anfang von "Beneath A Steel Sky", die einem deutlich macht, in was für einer kaputten Welt man sich hier befindet: Held Robert Foster steht in einer Wohnsiedlung in den edleren Bereichen von Union City vor einem in jeder Hinsicht an sich sehr unspektakulären Busch. Klickt man ihn an, betrachtet Robert ihn interessiert und gibt den folgenden Kommentar ab: "Ich habe noch nie etwas derartig Grünes gesehen!"

Kein Wunder, denn Robert stammt aus dem "Gap". Das ist die verkümmerte Einöde außerhalb der Megastädte, in dem, was in der Zukunft von Australien übrig geblieben ist. Das Jahr, in dem "Beneath A Steel Sky" spielt, wird nie explizit genannt, aber alle Zeichen deuten darauf hin, dass es die gleiche nicht allzu weit entfernte Zukunft ist, in der auch der Terminator oder Judge Dredd ihre mörderischen Runden drehen. Eine erdrückende Dystopie, in der etwas so Simples wie ein grüner Busch oder "Ein Bild mit Hügeln, die mit so weißem Zeug bedeckt sind", beim Helden des Spiels für Fragezeichen sorgen, weil er sie nicht einordnen kann.

Dieses Szenario, bei dem man erwarten könnte, dass ein Früh-90er Trent Reznor den Soundtrack dazu schreibt, kommt aber nicht komplett unerwartet. Denn es entspringt vor allem Dave Gibbons, einem bereits damals schon berühmten Autoren und Comiczeichner, der unter anderem zusammen mit Alan Moore die legendären "Watchmen" erschuf oder "Give Me Liberty" in Kooperation mit Frank Miller – beides ebenfalls Großwerke der zutiefst deprimierenden Zukunftsvisionen. Ursprünglich sollte "Beneath A Steel Sky", das in der Entwicklung den Arbeitstitel "Underworld" trug, sogar ein offizielles "Watchmen"-Spiel werden, wozu es dann aus verschiedenen Gründen doch nicht kam. Aber Dave und Revolution-Software-Gründer Charles Cecil verstanden sich gut, die kreative Kompatibilität war da – also entschloss man sich, einfach etwas eigenes, frisches zu machen.

Titel und Story

Eine fast zwei Jahre dauernde und alles andere als unkomplizierte Entwicklung später stand das Resultat dann ab dem März des Jahres 1994 in den Läden, und trug nach abgelehnten Ideen wie "Rage in a Dark Memory", "City Without Humanity" oder "Beyond the Abyss" den finalen Namen "Beneath A Steel Sky". Ein klassisches Point-n-Click-Abenteuer, in dem man den Helden Robert Foster über ein simples Interface (Klick mit linker Maustaste = ansehen, rechte Taste = Aktion) mit seiner Umgebung interagieren, mit Dutzenden Personen sprechen und diverse Gegenstände kombinieren und benutzen lassen.

Wer ist Robert? Seine Vorgeschichte erfährt man entweder aus dem achtseitigen, der Verpackung beiliegen Comic aus der Feder von Dave Gibbons, oder dem Einstieg des Spiels, das ebendiesen Comic mit Sprachausgabe unterlegt zum Intro macht: Robert überlebte als kleiner Junge einen Helikopterabsturz, welcher nicht nur seine Mutter tötete, sondern ihn auch im "Gap" stranden ließ. Dort wird er von einer Gruppe Aborigines gefunden und als einer der ihren aufgezogen. Viele Jahre gehen ins Land, Robert wächst als technikbegabter Schlaukopf heran, bis eines Tages ein weiterer Helikopter heranschwirrt und schwerbewaffnete Soldaten aussteigen, die auf der Suche nach genau ihm sind. Widerwillig geht er mit, nur um das mitansehen zu müssen, wie die Obrigkeit auf Anordnung ihres Anführers "Reich" seine Siedlung in einer gigantischen Explosion in die Luft jagt. Robert muss nun herausfinden, was das Ganze soll, wieso er entführt wurde, wieso alle getötet wurden, mit denen er zu tun hatte – und vor allem, wieso er dauernd mit dem Namen "Overmann" konfrontiert wird.

Die Vorbilder für die Textbuch-Dystopie, in der wir gelandet sind, sind für Comic- und Filmkenner offensichtlich: "Judge Dredd" liefert zum Beispiel den alles überwachenden Polizeistaat mit überdeutlichen faschistoiden Tendenzen und die außerhalb der Städte hausenden Ödland-Bewohner, "Blade Runner" die düsteren Giganto-Städte und die dominierenden Brauntöne, "Mad Max" das postapokalyptische Australien-Szenario. Und Fritz Langs Stummfilmklassiker "Metropolis" stand für die Aufteilung der Reichen und der Armen in deutlich voneinander getrennte Bereiche in monströsen Hochhausschluchten Pate. Nur dass in "Beneath a Steel Sky" alles umgedreht ist – es spielt ja nicht umsonst in Australien.

Und so wohnt hier das obere Prozent nicht in den Penthäusern ganz, ganz oben, sondern hat es sich in luxuriösen Appartements in Bodennähe gemütlich gemacht – während der Plebs in den luftigen Fabriken vor sich her schuftet. Für den gesellschaftlichen Aufstieg geht’s hier also abwärts – eine interessante Verkehrung üblicher Dystopie-Konventionen. Manche Dinge ändern sich aber natürlich nie: So bleiben die unterschiedlichen Kasten streng getrennt, der Pöbel darf unter anderem die Fahrstühle, die nach unten führen, gar nicht erst benutzen. Diese deutliche Segregation war laut Charles Cecil vor allem von den Lebensumständen im Großbritannien der End-80er inspiriert – einer Zeit, in der sich das Land noch mitten in den Nachwirkungen der Thatcherismen befand, und in der die Schere zwischen Superreich und Superarm immer weiter auseinanderging.

Anders als England der frühen 90er wird das kaputte Australien der Zukunft von einer allumfassenden künstlichen Intelligenz kontrolliert. Die heißt weder "Skynet" noch "Shodan", sondern "LINC", was für "Logical Inter-Neural Connection" steht, und alles und jeden pausenlos überwacht, dafür sorgt, dass der unterdrückende Status Quo unangetastet bleibt und vor allem allen Leuten einen sozialen Rang verleiht, der bestimmt, was sie machen und wohin sie gehen können. Eine Verbeugung vor George Orwells Gesellschafts-Albtraum "1984" und mittlerweile auch ein klassisches Element des Cyberpunk.

Im Laufe des Abenteuers, in dem man beim ersten Mal locker zehn bis zwölf Stunden versenken kann (wobei Speedrunner mittlerweile nicht mal mehr zehn Minuten für einen Durchlauf benötigen) werden auch noch viele weitere Themen angesprochen. Viele davon sind popkulturell überdeutlich in den 90ern verankert und wirken dadurch natürlich mittlerweile ein bisschen aus der Zeit gefallen – wie zum Beispiel die stilisierte Darstellung des Cyberspace oder das Monsterzermatschungen auf einer Art Game Boy zockende Kind. Auf der anderen Seite: Komplett übertriebene Schönheitsoperationen, penetrante Versicherungsvertreter oder eine bizarre Gerichtsverhandlungs-Farce sind Themen, die nie ihre Aktualität verlieren. "Beneath A Steel Sky" wagt sogar einige sehr progressive Blicke in die Zukunft und thematisiert unter anderem Transhumanismus und Isaac Asimovs Robotergesetze.

Aber es ist nicht alles so düster wie es klingt und aussieht, denn es gibt in "Beneath A Steel Sky" auch mehr als genug zu lachen. Was vor allem Roboterkumpel Joey und seinem auf 11 gedrehten Sarkasmusmodul zu verdanken ist: Dieser "Kunststoff-Freund für die schönen Stunden des Lebens" (Douglas Adams, "Per Anhalter durch die Galaxis"), beginnt das Spiel als nutzlose Platine und landet im Laufe des Abenteuers in vier verschiedenen Hüllen, wodurch er eine sehr interessante Evolution vom Bodenschrubber bis hin zum ausgewachsenen Androiden durchmacht.

Das Wort "Evolution" ist dabei absichtlich gewählt, denn mit jeder frischen Hülle ändert sich nicht nur Joeys Äußeres, sondern auch seine Persönlichkeit und Ausdrucksweise, was für den Spielverlauf und speziell das Ende essentiell ist. So oder so ist Joey ein sehr wertvoller Begleiter: Zum einen ist er wunderbar sarkastisch – er gibt sich etwa größte Mühe, Robert immer wieder runterzuputzen und bekommt in einem spontanen Anfall von Größenwahn auch eine ganz exzellente Dalek-Parodie hin. Und zum anderen ist Joey auch eine wertvolle Informationsquelle, der zu praktisch jedem Inventargegenstand eine (meist hilfreiche, gerne aber auch einfach nur bissige) Meinung hat.

Eine Sache, auf die zu achten man hier sehr schnell lernt ist, dass alle Figuren, mit denen man es zu tun bekommt, quasi physisch in der Welt vorhanden sind. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kombination aus Joey und Fahrstühlen: Sobald Robert die Möglichkeit bekommt, den Fahrstuhl in die exklusiveren Viertel weiter unten zu nutzen, muss er darauf achten, nicht alleine loszufahren – denn steigt Joey nicht mit in den Lift ein, dann steigt er logischerweise auch nicht mit aus.

Der Grund dafür ist kein Bug, sondern das Spielsystem von "Beneath A Steel Sky", welches den Namen "Virtual Theatre" trägt, und seinen Erstauftritt in "Lure of the Temptress" hatte. Diese von Revolution-Mitbegründer Tony Warriner geschriebene Adventure-Engine funktioniert grundsätzlich ganz ähnlich wie "SCUMM" von LucasArts oder "SCI" von Sierra, hat aber eine entscheidende Änderung: rudimentäre künstliche Intelligenz. Während die Figuren bei der Konkurrenz in aller Regel immer nur an einer Stelle herumstehen und auf den Auftritt des Spielers warten, haben die Personen in "Beneath A Steel Sky" eine Art Tagesablauf.

Sehr gut sieht man das an Fabrikbesitzer Gilbert Lamb: Der tummelt sich zuerst in seinem Werk, geht mal hierhin und mal dorthin, dann läuft er zum Aufzug, fährt runter in sein Appartement, füttert seine Katze und macht es sich im Fernsehsessel gemütlich. Was man alles live miterleben kann, wenn man ihm folgt. Das ist im Grunde natürlich auch nichts anderes als eine Sammlung von Skripten, die den Figuren mehrere Aufenthaltsmöglichkeiten geben und die Wege dazwischen diktieren. Aber es ist ein schönes Konzept, da es der Welt ein bisschen mehr Dynamik verleiht.

Wie schon erwähnt ist "Beneath A Steel Sky" ein Kind der 90er – und in denen war das Buzzword "Virtual Reality" noch stärker am Herumsummen als heutzutage. Zwangsläufig bekommt man es hier also auch damit zu tun, und zwar gleich mehrmals. Nur, dass der "Cyberspace" hier nicht "Cyberspace" heißt, sondern "Lincspace": Eine in Blau- und Rottöne getauchte Ansammlung einzelner Räume, die Robert als durchtrainierter lila Avatar durchschreitet und dabei mit virtuellen Repräsentationen weltlicher Kommandos, Programme oder Dokumente interagiert: Ein Oszillator wird zum Beispiel über eine Stimmgabel dargestellt, ein Programm zur Dekomprimierung von Dateien als Lupe. Und eine Firewall, repräsentiert durch einen im Weg stehenden mittelalterlichen Ritter, beseitigt man, indem man ihn über eine flugs ins Bild gebeamte Statue zermatscht. Ähhh, "hackt".

30 Jahre "Beneath A Steel Sky" (15 Bilder)

Union City ist kein Ort der Freude. Das Spiel ist voller Absicht vor allem in Braun- und Grautönen gehalten.
(Bild: Revolution Software)

Das Spiel versucht sich immer wieder an dem schwierigen Balanceakt zwischen solcherlei Humor und ernsthafter Dystopie. Diese Dualität liegt vor allem daran, dass sich die beiden Autoren Charles Cecil und Dave Cummins nie komplett einig waren – denn Dave wollte das Spiel etwas schwarzhumoriger gestalten, während es Charles gar nicht deprimierend genug sein konnte. Das merkt man vor allem im letzten Spieldrittel, das deutlich ernsthafter ist als der Rest, mit in Schränke gestopften Leichen und ähnlich schwerer Kost. Das geht natürlich nicht immer gut.

Und genau wie bei den Sierra-Adventures der damaligen Zeit kann auch Robert Foster spontan und unerwartet sterben: Öffnet man eine Reaktortür, ohne einen der Strahlenschutzanzüge zu tragen, mit dem all die anderen Personen in der Gegend herumrennen, dann fällt man ratzfatz zu Tode zitternd zu Boden. Einen nach Knetmasse aussehenden Klumpen einfach so in eine Steckdose zu stopfen, ist keine allzu brillante Idee. Genauso wie in den Tunneln unter der Stadt einen sehr auffälligen Riss in der Wand etwas zu neugierig zu erforschen – dieser Tod kommt schnell, schmerzhaft und mit mehr Armen als gewohnt.

Wer sich heute selbst ein Bild von den Qualitäten des Spiels machen will, kann das am einfachsten auf der offiziellen Webseite der virtuellen Maschine ScummVM. Da gibt’s im Bereich "Spiele" neben anderen Kleinoden auch "Beneath A Steel Sky" in der Vollversion gratis zum Runterladen – und zwar sowohl in der Disketten-, als auch der CD-Fassung, mit offiziellem Segen von Revolution Software. Alternativ gibt’s das Spiel auch kostenlos auf gog.com, und da sogar mit Extras wie den Handbüchern oder dem Comic in digitaler Form.

Und das ist selbst oder gerade heute auch wirklich noch zu empfehlen: "Beneath A Steel Sky" hatte nie den ganz großen Bekanntheitsgrad oder Erfolg der Sierra- oder LucasArts-Konkurrenz (auch wenn es sich ordentlich verkaufte und 2020 mit "Beyond A Steel Sky" auch endlich einen offiziellen Nachfolger erhielt). Aber es war eine tolle Alternative oder Ergänzung zu den Monkey Islands und Leisure Suit Larrys dieser Welt, das nicht nur bemerkenswerte Schauwerte zu bieten hatte, sondern sich auch traute, Themen anzusprechen, von denen die Mitbewerber die Finger ließen. Kein Adventure-Meilenstein – aber ein wirklich schönes, fesselndes Spiel, das man als Fan des Genres nicht verpassen sollte.

(bme)