30 Jahre "Doom": Zur Hölle mit dir!​

Seite 2: Klassischer Gun Porn

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Inhaltlich wurden deutlich kleinere Brötchen gebacken. John Carmack hat zur "Doom"-Entwicklung berühmterweise mal den folgenden Satz gesagt: "Eine Handlung in einem Spiel ist wie die Handlung in einem Porno. Es wird erwartet, dass sie da ist, aber sie ist echt nicht so wichtig." Folgerichtig wird der Story in "Doom" immer genau eine Seite gegönnt: Eine Seite im Handbuch, eine Bildschirmseite pro abgeschlossenem Kapitel. Reicht ja auch. Höllenbrut = böse, du = gut bewaffnet.

Und auch das Spielprinzip machte kein Geheimnis daraus, dass es niemals mehr sein wollte als ein die niedrigsten Instinkte ansprechendes Ballerfest: Es geht immer nur darum, das Ende jedes der 27 Levels zu erreichen, alle dafür benötigten Schlüsselkarten aufzusammeln und alle im Weg stehenden Gegner in eine Ansammlung dunkelroter Bröckchen zu verwandeln. Egal, ob "Imp", "Baron of Hell", "Cacodemon" oder "Cyberdemon", sie alle fallen früher oder später. Und zwar dank Schrotgewehr, Raketenwerfer, Plasmakanone, der bekannten Kettensäge oder der Waffe mit dem nachweislich besten Namen aller Zeiten: der "BFG 9000" – der "Big Fucking Gun".

"Doom" war auch neben der Grafik und der für damalige Zeiten erschreckenden Bildschirmbrutalität auch in anderer Hinsicht ein bemerkenswerter Innovator. Zum einen verdanken wir dem Spiel die heutige Multiplayer-Kultur. Es gab natürlich auch bereits vor "Doom" Spiele, in denen man über das Netzwerk gegeneinander antreten durfte, wie zum Beispiel das 1987er "Midi Maze". Aber "Doom" erschuf das "Deathmatch", das Raketenwerfer- oder Schrotgewehr-basierte Gegeneinander, das seit damals Teil praktisch jedes Actionspiels ist. Ironischerweise fand dieser Modus erst spät seinen Weg ins Spiel – er wurde zwar in der ersten Pressemitteilung bereits überdeutlich hervorgehoben ("In 1993, we fully expect to be the number one cause of decreased productivity in businesses around the world."), dann aber erst etwa einen Monat vor der Veröffentlichung der Shareware-Fassung tatsächlich implementiert.

"Doom-Klon" wurde Mitte der 90er zum stehenden Begriff, und erst gegen Ende des Jahrzehnts durch "Ego-Shooter" bzw. "First-Person Shooter" ersetzt.

(Bild: heise online)

Zum anderen war "Doom" direkt verantwortlich für die heutige Modding-Szene: Schon der Vorgänger "Wolfenstein 3D" wurde von Fans umgebaut, und das, obwohl das Spiel gar nicht darauf ausgelegt war. John Carmack, großer Verfechter offener Software, sah das, war beeindruckt, und gestaltete das Datenformat von "Doom" ("WAD", was für "Where’s All the Data?" steht) mit voller Absicht modular. Resultat: Wie beim "SCUMM"-System von Lucasfilm Games war auch bei "Doom" die Engine von den Spielinhalten getrennt, wodurch Letztere problemlos verändert werden konnten. In ihrer Komplettheit, wohlgemerkt, was sehr schnell nicht nur zu abertausenden Fan-Levels führte, sondern auch zu sogenannten "Total Conversions" – Modifikationen, die ein Spiel von Grund auf umbauen. Was sehr schnell zu "Aliens"-Mods führte, zu "Star Trek", "Star Wars", "South Park", "The Simpsons" oder "The Terminator". Wenn es in der Popkultur existierte, dann gab es eine "Doom"-Mod dazu.

Die damalige Spielepresse war vom "Doom" komplett begeistert: 95% in der PC Games ("Ein besseres Actionspiel wurde auf IBM-kompatiblen bis heute noch nicht gesehen…") und 87% in der Power Play ("Doom ist derzeit das beste Actionspiel, das es für PCs gibt!") sprechen eine deutliche Sprache. Natürlich hatten wir damals noch das Problem, dass in Deutschland alles wegindiziert wurde, das auch nur einen roten Pixel enthielt. Folgerichtig verschwand "Doom" ab dem 31. Mai 1994 aus den Händlerregalen, unter anderem mit der folgenden Begründung: "Wesentlicher Inhalt des Spiels ist die bedenkenlose, realistisch inszenierte Tötung der Gegner. […] Ein erfolgreiches Durchspielen wird einzig durch die Liquidation zahlreicher Gegner gewährleistet; die Tötungshandlungen werden mit blutig zerfetzten gegnerischen Körpern aufwendig dargestellt und akustisch untermalt." – ein Zustand, der sich erst ab dem 31. August 2011 wieder ändern sollte, auf Antrag von Bethesda Softworks, zwischenzeitlich zum Mutterunternehmen von id Software aufgestiegen.

Auch international sorgte das Spiel für alle möglichen Kontroversen: Eric Harris und Dylan Klebold, die 1999er-Amokläufer an der Columbine High School, waren riesige "Doom"-Fans und wollten ihr Massaker wie eine Ballerrunde gestalten. Die satanische Ikonographie sorgte für erbitterten Protest vieler religiöser Gruppen. Und natürlich konnten die Entwickler nicht davon lassen, einen Verweis auf "Wolfenstein 3D" einzubauen: Auf der Karte "E1M4: Command Control" war ein Teil des Levels mit voller Absicht in Form eines Hakenkreuzes aufgebaut, das in späteren Veröffentlichungen dann leicht abgeändert wurde.

All das änderte aber nichts am Erfolg des Spiels und seinen noch bis heute spürbaren Auswirkungen: "Doom" machte all seine Beteiligten sehr reich, und id Software auf Jahre hinaus zu einem der wichtigsten Namen im Bereich der Ego-Shooter. Es erschuf das Konzept der Engine-Lizenzierung, hatte Auftritte in spektakulär erfolgreichen Fernsehserien wie "E.R." und "Friends", es erhielt öffentliche Lobpreisungen von hochkarätigen Zeitgenossen wie Terry Pratchett oder Brian May – und es schaffte das Kunststück, Bill Gates mit einer Pumpgun in der Hand vor die Kamera zu zerren, um Werbung für Windows 95 zu machen. Es erhielt diverse Nachfolger, es gibt Bücher, Brettspiele und mehrere Filme. Und noch bis heute werden neue Mods für "Doom" entwickelt – wie zuletzt erst "Sigil" von John Romero höchstpersönlich, der gerade am Nachfolger arbeitet, oder das höchst erfolgreiche "MyHouse.wad".

"Over the centuries, mankind has tried many ways of combating the forces of evil... prayer, fasting, good works and so on. Up until 'Doom', no one seemed to have thought about the double-barrel shotgun." Terry Pratchett

(Bild: heise online)

1997 wurde der Sourcecode von "Doom" ganz offiziell an die Öffentlichkeit freigegeben, was nicht nur dafür sorgte, dass das Spiel noch bis heute zuverlässig auf jede Plattform portiert wird, die irgendwie mit Nullen und Einsen umgehen kann, sondern auch jedes andere System damit beglückt wird, das nicht gerade ein Ziegelstein ist: Rund um die Frage "Can it run Doom" hat sich eine beeindruckend enthusiastische Community gebildet, die sie so oft und so abgefahren wie möglich mit "JA!" beantworten möchte. Was dafür sorgte, dass das Spiel mittlerweile in mehr oder weniger wiedererkennbarer Form auf Geldautomaten, dem Touch Bar eines MacBook Pro, grafischen Taschenrechnern, einem Laufband oder gar dem Display eines digitalen Schwangerschaftstests funktioniert.

Anders ausgedrückt: "Doom" ist ein unverrückbarer Teil der Popkultur, ein Titel, der die Spielewelt für immer verändert hat. Natürlich nicht nur zum Besseren – aber welche derart tiefschürfende Veränderung hat das schon jemals? Spielt man es heute nochmal, dann stellt man schnell fest, dass das Spiel trotz seiner mittlerweile fraglos simplen Inszenierung immer noch ganz hervorragend funktioniert. "Doom" ist einer der wichtigsten Meilenstein-Titel aller Zeiten, über den wir auch in weiteren 30 Jahren noch andächtig sprechen werden.

(dahe)