30 Jahre "Beneath A Steel Sky": Big LINC is watching you!

Seite 2: Mein Kumpel Joey

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Aber es ist nicht alles so düster wie es klingt und aussieht, denn es gibt in "Beneath A Steel Sky" auch mehr als genug zu lachen. Was vor allem Roboterkumpel Joey und seinem auf 11 gedrehten Sarkasmusmodul zu verdanken ist: Dieser "Kunststoff-Freund für die schönen Stunden des Lebens" (Douglas Adams, "Per Anhalter durch die Galaxis"), beginnt das Spiel als nutzlose Platine und landet im Laufe des Abenteuers in vier verschiedenen Hüllen, wodurch er eine sehr interessante Evolution vom Bodenschrubber bis hin zum ausgewachsenen Androiden durchmacht.

Das Wort "Evolution" ist dabei absichtlich gewählt, denn mit jeder frischen Hülle ändert sich nicht nur Joeys Äußeres, sondern auch seine Persönlichkeit und Ausdrucksweise, was für den Spielverlauf und speziell das Ende essentiell ist. So oder so ist Joey ein sehr wertvoller Begleiter: Zum einen ist er wunderbar sarkastisch – er gibt sich etwa größte Mühe, Robert immer wieder runterzuputzen und bekommt in einem spontanen Anfall von Größenwahn auch eine ganz exzellente Dalek-Parodie hin. Und zum anderen ist Joey auch eine wertvolle Informationsquelle, der zu praktisch jedem Inventargegenstand eine (meist hilfreiche, gerne aber auch einfach nur bissige) Meinung hat.

Eine Sache, auf die zu achten man hier sehr schnell lernt ist, dass alle Figuren, mit denen man es zu tun bekommt, quasi physisch in der Welt vorhanden sind. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kombination aus Joey und Fahrstühlen: Sobald Robert die Möglichkeit bekommt, den Fahrstuhl in die exklusiveren Viertel weiter unten zu nutzen, muss er darauf achten, nicht alleine loszufahren – denn steigt Joey nicht mit in den Lift ein, dann steigt er logischerweise auch nicht mit aus.

Der Grund dafür ist kein Bug, sondern das Spielsystem von "Beneath A Steel Sky", welches den Namen "Virtual Theatre" trägt, und seinen Erstauftritt in "Lure of the Temptress" hatte. Diese von Revolution-Mitbegründer Tony Warriner geschriebene Adventure-Engine funktioniert grundsätzlich ganz ähnlich wie "SCUMM" von LucasArts oder "SCI" von Sierra, hat aber eine entscheidende Änderung: rudimentäre künstliche Intelligenz. Während die Figuren bei der Konkurrenz in aller Regel immer nur an einer Stelle herumstehen und auf den Auftritt des Spielers warten, haben die Personen in "Beneath A Steel Sky" eine Art Tagesablauf.

Sehr gut sieht man das an Fabrikbesitzer Gilbert Lamb: Der tummelt sich zuerst in seinem Werk, geht mal hierhin und mal dorthin, dann läuft er zum Aufzug, fährt runter in sein Appartement, füttert seine Katze und macht es sich im Fernsehsessel gemütlich. Was man alles live miterleben kann, wenn man ihm folgt. Das ist im Grunde natürlich auch nichts anderes als eine Sammlung von Skripten, die den Figuren mehrere Aufenthaltsmöglichkeiten geben und die Wege dazwischen diktieren. Aber es ist ein schönes Konzept, da es der Welt ein bisschen mehr Dynamik verleiht.

Wie schon erwähnt ist "Beneath A Steel Sky" ein Kind der 90er – und in denen war das Buzzword "Virtual Reality" noch stärker am Herumsummen als heutzutage. Zwangsläufig bekommt man es hier also auch damit zu tun, und zwar gleich mehrmals. Nur, dass der "Cyberspace" hier nicht "Cyberspace" heißt, sondern "Lincspace": Eine in Blau- und Rottöne getauchte Ansammlung einzelner Räume, die Robert als durchtrainierter lila Avatar durchschreitet und dabei mit virtuellen Repräsentationen weltlicher Kommandos, Programme oder Dokumente interagiert: Ein Oszillator wird zum Beispiel über eine Stimmgabel dargestellt, ein Programm zur Dekomprimierung von Dateien als Lupe. Und eine Firewall, repräsentiert durch einen im Weg stehenden mittelalterlichen Ritter, beseitigt man, indem man ihn über eine flugs ins Bild gebeamte Statue zermatscht. Ähhh, "hackt".

30 Jahre "Beneath A Steel Sky" (15 Bilder)

Union City ist kein Ort der Freude. Das Spiel ist voller Absicht vor allem in Braun- und Grautönen gehalten.
(Bild: Revolution Software)

Das Spiel versucht sich immer wieder an dem schwierigen Balanceakt zwischen solcherlei Humor und ernsthafter Dystopie. Diese Dualität liegt vor allem daran, dass sich die beiden Autoren Charles Cecil und Dave Cummins nie komplett einig waren – denn Dave wollte das Spiel etwas schwarzhumoriger gestalten, während es Charles gar nicht deprimierend genug sein konnte. Das merkt man vor allem im letzten Spieldrittel, das deutlich ernsthafter ist als der Rest, mit in Schränke gestopften Leichen und ähnlich schwerer Kost. Das geht natürlich nicht immer gut.

Und genau wie bei den Sierra-Adventures der damaligen Zeit kann auch Robert Foster spontan und unerwartet sterben: Öffnet man eine Reaktortür, ohne einen der Strahlenschutzanzüge zu tragen, mit dem all die anderen Personen in der Gegend herumrennen, dann fällt man ratzfatz zu Tode zitternd zu Boden. Einen nach Knetmasse aussehenden Klumpen einfach so in eine Steckdose zu stopfen, ist keine allzu brillante Idee. Genauso wie in den Tunneln unter der Stadt einen sehr auffälligen Riss in der Wand etwas zu neugierig zu erforschen – dieser Tod kommt schnell, schmerzhaft und mit mehr Armen als gewohnt.

Wer sich heute selbst ein Bild von den Qualitäten des Spiels machen will, kann das am einfachsten auf der offiziellen Webseite der virtuellen Maschine ScummVM. Da gibt’s im Bereich "Spiele" neben anderen Kleinoden auch "Beneath A Steel Sky" in der Vollversion gratis zum Runterladen – und zwar sowohl in der Disketten-, als auch der CD-Fassung, mit offiziellem Segen von Revolution Software. Alternativ gibt’s das Spiel auch kostenlos auf gog.com, und da sogar mit Extras wie den Handbüchern oder dem Comic in digitaler Form.

Und das ist selbst oder gerade heute auch wirklich noch zu empfehlen: "Beneath A Steel Sky" hatte nie den ganz großen Bekanntheitsgrad oder Erfolg der Sierra- oder LucasArts-Konkurrenz (auch wenn es sich ordentlich verkaufte und 2020 mit "Beyond A Steel Sky" auch endlich einen offiziellen Nachfolger erhielt). Aber es war eine tolle Alternative oder Ergänzung zu den Monkey Islands und Leisure Suit Larrys dieser Welt, das nicht nur bemerkenswerte Schauwerte zu bieten hatte, sondern sich auch traute, Themen anzusprechen, von denen die Mitbewerber die Finger ließen. Kein Adventure-Meilenstein – aber ein wirklich schönes, fesselndes Spiel, das man als Fan des Genres nicht verpassen sollte.

(bme)